Auf der Jagd nach dem „organisierten Verbrechen“

Landesweite Aktion des LKA Stuttgart führte zum Verbot des Motorradklubs „Gremium“ / Vorwurf der Bildung einer „kriminellen Vereinigung“ wurde bislang nicht durch die Ermittlungen bestätigt / Dennoch sitzen etwa 20 bis 30 „Gremium„-Mitglieder seit November in Untersuchungshaft  ■  Von Holger Reile

Stuttgart (taz) - Am 22.November vergangenen Jahres schlug das baden-württembergische Landeskriminalamt flächendeckend zu: Rund 500 Beamte durchkämmten zwischen Mannheim und Konstanz die Vereinsheime des Motorradklubs „Gremium“. Auch einige Privatwohnungen von „Gremium„-Mitgliedern wurden auf den Kopf gestellt. „Gremium„-Präsident Michael „Mike“ Heyer wurde in Mannheim auf offener Straße verhaftet. Noch am gleichen Tag verbot das baden-württembergische Innenministerium den Motorradklub per Verfügung. „Der Zweck und die Tätigkeit des Vereins 'Motorradklub Gremium‘ laufen den Strafgesetzen zuwider“, heißt es in einem mehrseitigen Schreiben. Die Vorwürfe gegen den Klub sind massiv: Bildung einer kriminellen Vereinigung, Waffenhandel, Drogenhandel, Schutzgelderpressung und Menschenhandel. Angeblich sollen die Mannheimer Mitglieder in Ludwigsburg, Karlsruhe, Rastatt und Konstanz Filialen gegründet haben, um so landesweit ihre kriminellen Geschäfte zu tätigen. Michael Heyer war nach Ansicht der Ermittlungsbehörden nicht nur Präsident des Mannheimer Klubs, sondern Chef der gesamten Organisation. Neben Heyer wurden weitere zwölf „Gremium„-Mitglieder verhaftet und sitzen seitdem in Untersuchungshaft.

Die aufwendige Polizeiaktion wurde allgemein als „erfolgreicher Schlag gegen die organisierte Kriminalität“ gefeiert. Eilends trug man Beweisstücke zusammen und noch am gleichen Abend bekam die bundesdeutsche TV-Gemeinde Handfestes geboten: abgesägte Schrotflinten, Handfeuerwaffen, Handgranaten, technische Geräte und eine mit mehreren tausend Mark gefüllte Geldkassette.

Die Anwälte ehemaliger „Gremium„-Mitglieder sprechen inzwischen jedoch von einem „Fehlgriff der Behörden“. Die beiden Heidelberger Anwälte Härdle und Croissier sowie der Konstanzer Rechtsanwalt Haenel wiesen den Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung denn auch auf einer Pressekonferenz Ende Januar entschieden zurück. Sie werfen der in dem Ermittlungsverfahren federführenden Karlsruher Staatsanwaltschaft und dem Landeskriminalamt vor, fahrlässig ermittelt zu haben. Zwar will Gerhard Härdle nicht ausschließen, daß einzelne „Gremium„-Mitglieder etwas auf dem Kerbholz haben, doch mit den Klubaktivitäten habe das nichts zu tun. Bekannt ist z.B., daß einzelne Mitglieder im Zuhältergeschäft tätig sind, doch das, so Anwalt Härdle, sei deren Privatsache und einen ganzen Verein könne man dafür nicht haftbar machen. Auch der Vorwurf der Schutzgelderpressung sei nicht haltbar, „bis heute liegen keinerlei Beweise vor“.

Ähnlich verhält es sich bei den anderen Vorwürfen: Bei einer Hausdurchsuchung in Heyers Wohnung glaubten die Beamten Kokain gefunden zu haben - kurz darauf mußten die Ermittler kleinlaut zugeben, daß das angebliche Rauschgift einfaches Zahnpulver war, das Zahnärzte zur Herstellung von Gebißabdrücken benötigen. Und das anfangs so stimmige Szenario einer schwer bewaffneten kriminellen Gang entpuppte sich peu a peu als Makulatur. Bei den so eindrucksvoll vor den Kameras aufgebauten Waffenvorräten soll es sich nach Auskunft der Anwälte fast ausschließlich um unscharfe Dekorationswaffen handeln. Auch der Vorwurf, der Motorradklub „Gremium“ habe sich, um seine kriminellen Geschäfte effektiver abwickeln zu können, „hochmoderner Computer“ bedient, entbehrt inzwischen einer ermittlungsrelevanten Grundlage. Beschlagnahmt wurde lediglich ein 128er Commodore, ein Modell, das zwischen Flensburg und Konstanz auf zigtausenden Schülerschreibtischen zu finden ist. Die sechs südwestdeutschen „Gremium„-Präsidenten gingen alle - so Härdle - bürgerlichen Berufen nach, keinem einzigen könne bislang etwas nachgewiesen werden. Angesichts der derzeitigen Beweislage drängt sich dem Heidelberger Rechtsanwalt zunehmend der Verdacht auf, daß mangels wirklicher Erfolge gegen das organisierte Verbrechen Aktionen gegen die unbeliebten Rocker als Scheinerfolge gefeiert werden sollen.

Bei der Karlsruher Staatsanwaltschaft und auch beim Landeskriminalamt gibt man sich unterdessen zugeknöpft: „Die Vorwürfe gegen den Klub werden aufrechterhalten, es hat sich aus unserer Sicht nichts geändert.“ Etwa 20 bis 30 ehemalige „Gremium„-Mitglieder sitzen zur Zeit in Untersuchungshaft. Gut drei Monate sind seit der landesweiten Großaktion vergangen und die Ermittlungen scheinen ins Stocken geraten zu sein. Auf die Pressekonferenz der Anwälte haben weder Landeskriminalamt noch Staatsanwaltschaft reagiert.

Für „Doc“ Baumann, Herausgeber der Motorradzeitschrift 'Bikers news‘, ist das Vorgehen gegen den Motorradklub „Gremium“ ein „vorläufiger Höhepunkt der Rockerjagd des LKA Stuttgart“. Speziell dort habe man sich ein Klischee zusammengezimmert „und durch öffentliche Diffamierungskampagnen dazu beigetragen, daß Rocker zu Feindbildern unserer Gesellschaft aufgebaut werden“. „Wenn die Behörden was vorzubringen haben“, so „Doc“ Baumann, „dann muß das endlich auf den Tisch.“ Kenner der Szene behaupten, daß zwischen dem „Hells Angels„-Prozeß und dem „Gremium„-Verbot ein direkter Zusammenhang besteht. Die Hamburger „Hells Angels“ hatten Mitte letzten Jahres ihren Prozeß verloren und bleiben weiterhin als kriminelle Vereinigung verboten. In Baden-Württemberg wurde schon seit Anfang 1987 gegen den Motorradklub „Gremium“ ermittelt, so auch die offizielle Version. Wenn der Motorradklub „Gremium“ wirklich eine kriminelle Vereinigung ist, so fragen viele, warum haben die baden-württembergischen Behörden dann nicht früher zugeschlagen, sondern auf den Ausgang des „Angels„ -Prozesses gewartet? „Dieser enge Zusammenhang“, schreibt „Doc“ Baumann, „läßt umgekehrt die Vermutung zu, daß diese Aktion unterblieben wäre, wenn die Richter den 'Angels‘ Recht gegeben hätten.“

Der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim muß nun entscheiden, ob das „Gremium„-Verbot bestehen bleibt. Die Klubhäuser sind versiegelt und die meisten der 300 Vollmitglieder frustriert. „Unser Klubraum war für uns so eine Art Rückzugsmöglichkeit, der Treffpunkt eben“, sagt Rolf, ein ehemaliger „Gremium„-Präsident. Nach dem Verbot wüßten viele gar nicht mehr, wo sie noch hinsollen. „Die ganzen Anschuldigungen sind aus der Luft gegriffen, da steckt System dahinter. Mag sein, daß das eine oder andere Mitglied mal privat Scheiße gebaut hat, aber die FDP hat ja auch keiner verboten, nur weil Lambsdorff ein Steuerbetrüger ist.“