: Der Putsch der „Yang-Clique“ gegen Pekings Reformer
Das Massaker vom Sonntag ist ein Pendant zum Schanghaier Massaker von 1927, das damals dem Militärdiktator Tschiang Kai-Schek dazu diente, die Kommunistische Partei zu liquidieren. In den Augen der Chinesen sind die Parallelen frappierend: In beiden Fällen handelt es sich um sorgfältig geplante und durchgeführte Operationen mit dem einzigen Ziel, das Land unter die Herrschaft einer Person zu bringen.
Im nachhinein erscheint die Entsendung unbewaffneter Truppen am Samstag, die von der Bevölkerung gestoppt wird, nur als ein Mittel, um die Armee zu demütigen und sie psychologisch auf ihre Rolle als Schlächterin vorzubereiten. Viele als Studenten verkleidete Soldaten wurden von der Bevölkerung entdeckt und festgenommen. Sie trugen Waffen bei sich, die Waffen, von denen die offizielle Propaganda sagt, Studenten hätten sie bei sich gehabt.
Die Scharmützel vom Samstag nachmittag hatten anscheinend den einzigen Zweck die bis jetzt friedliche Menge der Demonstranten aufzustacheln und zugleich die Ordunungskräfte zu mobilisieren. Es war durch nichts gerechtfertigt, blindwütig auf eine mit Stöcken, Molotow-Cocktails und Steinen bewaffnete Menge zu schießen - außer durch den Willen, ein Maximum an Opfern „als Exempel“ zu schaffen. Die Absicht war, eine im Entstehen begriffene demokratische Bewegung zu zerstören, eben so, wie Tschiang Kai-Schek 1927 das Massaker an Tausenden von Arbeitern organisiert hatte, um die kommunistische Bewegung zu zerbrechen. Die Niederschlagung der „kommunistischen Verschwörung“ diente Kai-Schek dazu, sich als Generalissimus zu präsentieren, als starker Mann. Man kann heute wetten, daß der „konterrevolutionäre Komplott“ in gleicher Weise dazu dienen soll, die Stellung von Staatspräsident Yang Shangkun innerhalb der Führung zu stärken.
Es ist jetzt unbezweifelbar, daß die Mehrheit des Zentralkomitees der Verhängung des Kriegsrechts ebenso feindlich gegenüberstand wie der Entmachtung von Zhao Ziyang. Die Zehntausenden von Soldaten, die Peking heute besetzen, unterstehen Yang Shangkun, seinem Schwager Yang Baibing, dem Chef der politischen Abteilung, oder seinem Neffen Chi Hao-tian, dem Generalstabschef. Die Soldaten, die für das Blutbad vom Sonntag verantwortlich sind, gehören zum 27. Armeekorps aus Shanxi, dem früheren Befehlsbereich von Yang Baibing. Die „Yang-Clique“, wie sie von den Chinesen genannt wird, wird von vielen als eines der Zentren für Korruption und Vetternwirtschaft des Regimes gesehen. Der 82jährige Staatspräsident Yang Shangkun stammt wie Deng aus Sichuan und ist seit jeher dessen rechter Arm in der Armee. Er war der Baumeister der „Kommerzialisierung“ der chinesischen Kriegsindustrie. Er und seine Familie kamen beim Aufbau dieses militärisch-industriellen Komplexes, der von Motorrädern bis zu Raketen alles produziert und verkauft, gewiß nicht zu kurz. Das voraussehbare Ende ihres Patrons Deng, die Furcht, dann ihre Privilegien beschnitten zu bekommen, hätte die Yangs - so sagen viele in Peking dazu gebracht, einen Putsch vom Zaun zu brechen, indem sie den mediokren, aber ehrgeizigen Li Peng als Strohmann benutzten und die Paranoia der senilen Greise aus der Militärkommission als Deckung. Hauptziel des „Putsches“ war es, Zhao Ziyang als Generalsekretär zu entmachten, um ihn daran zu hindern, den Vorsitz in der Militärkommission zu übernehmen - eine Schlüsselposition, auf die Yang Shangkun ein Auge geworfen hat. Die Offensive Zhaos für die Demokratie und die Verbindungen die er zu gewissen Militärchefs, die nicht zur Yang-Clique gehörten, aufnahm, stellten eine direkte Bedrohung Yangs dar.
Patrick Sabatier (Liberation)
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