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Balkonreden

■ Volker Braun zu DDR-Ausreißern und zum Prager Frühling

Am 18. Oktober 1989 gab der DDR-Autor der ungarischen Zeitung 'Nepszabadsag‘ ein Interview, das dort noch nicht veröffentlicht wurde, dafür aber in der Ostberliner 'Wochenpost‘ nachzulesen ist. Wir bringen Auszüge daraus.

Was sagen Sie zur Öffnung unserer Grenzen?

(...) Als ich Genscher auf den Prager Balkon treten sah, dachte ich sofort: Nein, Außenminister Fischer gehört dahinauf. Mit dem Text: Bürger, ich betrachte Sie als auf einem Ausflug befindlich, der drei Monate oder Jahre dauern mag; Sie können jederzeit zurückkehren, und Sie können den Ausflug jederzeit wiederholen. So hätte unsere Regierung mit entschlossenem Witz und generös ein Gesicht gezeigt. Es wäre ein Prager Fenstersturz gewesen, aber doch nicht dreißig Jahre Krieg. Aber nur ein Mann, der nicht am Posten hängt, hat den souveränen Blick für das notwendige Neue. Nun, sehen wir, wurde der utopische Text von einem Tag zum andern real. (...)

Sehen Sie eine Gewähr für den Erfolg der Wende?

Es gab einmal einen geschichtlichen Augenblick, der fast eine Gewähr bot: der Prager Frühling 1968. Was für eine ideale sozialistische Erneuerung, verglichen mit den polnischen und ungarischen Reformen! Das Volk und die Partei verbunden: Welch unwiederbringlicher Moment! Jetzt leckt man sich die Finger danach. So einfach ist der Sozialismus bei uns nicht mehr zu haben. Was jetzt bei uns begonnen hat, ist dem gewaltlosen Druck der Straße geschuldet - und denen, die unsere Straßen verlassen haben. Was weiter wird, entscheidet allein der Druck der Bleibenden. Der Druck der Interessen, die sich ihre Vertretung schaffen.

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