: „Große Koalition des Übergangs“?
■ Modrow distanziert sich behutsam von der SED und bietet die Regierungsbeteiligung an / SPD signalisiert Bereitschaft / Kommunalwahlen bereits am 6.Mai? / Finanzministerin zurückgetreten / Außenminister Fischer erinnert an DDR-Bekenntnis zur Oder-Neiße-Grenze
Berlin (dpa/taz) - Tage noch oder Wochen - wann tritt die Opposition in die Regierung ein? Nach den gestrigen Diskussionen am runden Tisch ist eines klar: Allzu lange wird es nicht mehr dauern. Ministerpräsident Hans Modrow bot am Montag der Opposition Posten in seinem Kabinett an - und die SPD zeigte sich nicht abgeneigt.
SPD-Geschäftsführer Ibrahim Böhme sagte, die Opposition sei bereit, in einer „Notsituation“ ohne lange Koalitionsverhandlungen in die Regierung einzutreten. SED -PDS-Vorsitzender Gregor Gysi bekräftigte das Angebot an die Oppositionsparteien, von seiner Partei Ministerposten zu übernehmen. Die in der Regierung vertretenen ehemaligen Blockparteien begrüßten das Angebot. Notwendig sei eine „große Koalition des Übergangs“.
In einer Beratungspause hieß es bei Oppositionsvertretern, sie wollten bei dem Gespräch detaillierte Vorschläge des Ministerpräsidenten hören. Es könne nicht um unwichtige, sondern nur um entscheidende Posten wie etwa das Innen-, Wirtschafts-, Finanz- oder Justizministerium gehen, die der Opposition angeboten werden müßten. Zuvor müsse die Regierung jedoch eingestehen, nicht mehr ohne die Opposition regieren zu können.
Modrow erklärte, das Angebot sei nicht aus Freundlichkeit erwachsen. Er fühle sich nicht seiner Partei, sondern dem ganzen Volk verpflichtet. Der „objektive Umstand“ sei sein Ausgangspunkt, und bei der Besetzung der Ministerposten sei auch die Kompetenz zu beachten.
Auch auf kommunaler Ebene soll die Opposition Verantwortung übernehmen. Entsprechende Angebote machte der zuständige Minister Peter Moreth (LDPD). Die örtlichen Volksvertretungen sollen ermächtigt werden, unverzüglich Vertreter der Opposition in die kommunalen Parlamente und deren Gremien als Mitglieder aufzunehmen (kooptieren). Die Regierung forderte die örtlichen Organe auf, eng mit den kommunalen runden Tischen zusammenzuarbeiten.
Die Wahlen zu Kommunalparlamenten sollen vorgezogen und gleichzeitig mit den Wahlen zur Volkskammer am 6.Mai ausgeschrieben werden. In dem Sinne sprachen sich fast alle Redner von Regierung und Opposition aus. Auch Modrow betonte, daß die Abgeordneten in den Kommunen „dringend eine Legitimation durch freie Wahlen“ brauchten. Die Kommunalwahlen am 7.Mai 1989 waren durch die damalige Staatspartei SED massiv manipuliert worden.
Außenminister Oskar Fischer erklärte, die Regierung Modrow strebe einen baldigen Abschluß eines Vertrages über Zusammenarbeit und gute Nachbarschaft mit der Bundesrepublik an. Weitere Voraussetzungen sollen bei dem Treffen Modrows mit Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) im Februar in Bonn geschaffen werden. Die angestrebte Vertragsgemeinschaft könne später zu einer Konföderation ausgebaut werden. Er erinnerte dabei an das vertraglich fixierte Bekenntnis der DDR zur Oder-Neiße-Grenze als Westgrenze Polens.
Modrow hatte den runden Tisch zuvor informiert, daß Finanzministerin Christa Nickel (SED-PDS) zurückgetreten ist. Gegen sie war ein Ermittlungsverfahren wegen Untreue eingeleitet worden. Der Rücktritt sei erfolgt, obwohl sich Frau Nickel als persönlich nicht schuldig betrachte, sagte Modrow.
Auf entschiedene Ablehnung bei allen Teilnehmern des runden Tisches stieß ein Bericht der 'Bild'-Zeitung über Vorbereitungen eines Putschversuches von ehemaligen Stasi -Mitarbeitern und Armee. Modrow bezeichnete den Bericht als „Provokation“. Er habe entsprechende Berichte prüfen lassen, die sich als falsch herausgestellt hätten.
Am Nachmittag berichtete Egon Krenz zum Verhältnis von SED und Staatssicherheit und zeigte sich bußfertig. Der runde Tisch war recht frustriert. Mehr zu Krenz und Berghofer:
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