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"Kein Fall von Feigheit vorgekommen!"

Der Dank von Menschen, die ohne ihren Einsatz zu Pogromopfern geworden wären, die Hoffnung des Parteiapparates, die Aggressionen der Reformpresse, die Verachtung vieler informeller Gruppen und das Mitleid ihrer Freunde und Verwandten - dies alles gilt den Soldaten des Innenministeriums in der Sowjetunion. In Berg-Karabach und Aserbaidschan schützten sie ein Jahr lang Familien mit ihrem bloßen Körper vor wütenden Angriffen und wurden bis Anfang dieses Jahres immer wieder Opfer von Geiselnahmen und Überfällen zwecks Waffenkonfiskation, da sie keine Genehmigung zum Gebrauch von Schußwaffen hatten.

Vieles weist daraufhin, daß sie beim Einmarsch in Baku am 20.Januar dann selbst Dutzende, wenn nicht Hunderte von Unschuldigen in Panik erschossen haben. In Tbilissi droschen sie am 9.April 1989 bei der Zerschlagung einer friedlichen Demonstration wie Roboter mit scharfen Schanzspaten auf Frauen und junge Mädchen ein. Es gab 20 Todesopfer.

Die Spezialtruppe zum Einsatz bei Unruhen im Inneren des Landes wurde 1918 durch ein Dekret Lenins geschaffen. Jahrzehntelang war sie Bestandteil der allgemeinen Streitkräfte. Letztes Jahr wurde sie ausgegliedert und erhielt einen selbständigen Status. Nach offiziellen Angaben umfaßt sie heute etwas über 300.000 Mann. Ein großer Teil der Kapazitäten dieser Truppe dient der Bekämpfung von Bandenkriminalität. Andere Abteilungen werden bei Massenveranstaltungen eingesetzt. Auch die Bewachung des Gulag gehört zu ihren Kompetenzen. Infolge der wachsenden Nationalitätenkonflikte in den letzten beiden Jahren wurden die Abteilungen zur Bekämpfung des Terrorismus und von inneren Unruhen ausgeweitet und sind jetzt die größten Sektionen. Der Spitzname dieser Truppen im Volksmund ist „Speznas“, nach ihrem Attribut „Po Spezialnomu Nasnatscheniju“, zu deutsch: „Für besondere Verwendung“. Eine weitere Aufstockung dieser Abteilungen ist geplant.

In den Großstädten hat die „Speznas“ eine eigene Polizeieinheit mit der Bezeichnung „OMON“ (Otrjad Miliziej po Osobennomu Nasnatscheniju), die dem Gesetz von 1988 zufolge ausdrücklich Teil der Truppen des Innenministeriums ist. Über die „Speznas“ schreibt einer von ihnen, Leutnant Vadim Kuzebin, in der 'Komsomolskaja Prawda‘ vom 25.Februar: „Sie formieren sich aufgrund eines strikt freiwilligen Wettbewerbs... Um schließlich 40 Mann aufzunehmen, wurde unter 600 ausgesucht. Und trotzdem“, so Kuzebin, „hielten bei weitem nicht alle die Belastung vor Ort aus.“ Diese Belastung ergibt sich nicht nur aus den Einsatzbedingungen, sondern auch aus der beklagenswerten Entlohnung, Verwundetenentschädigung und sozialen Lage der Angehörigen dieser Truppen. „Aber“, meint der Leutnant, „in die 'Speznas‘ gerät man nicht auf Befehl, und deshalb ist es hier nicht üblich, sich zu beschweren.“

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