Eine winzige Pille und ihre üblen Folgen

■ Scherings Anti-Baby-Pille steht nach wie vor im Kreuzfeuer der Kritik / Das größte Risiko sind Thrombosen

Der Urlaub in Kuba nahm für Karin S. ein jähes Ende: Eine Thrombose in der Wade, die in der Bundesrepublik nicht erkannt worden war, führte zu einem kompletten Verschluß im Knie-Becken-Bereich. Unter dramatischen Umständen wurde die Berlinerin in das Krankenhaus von Havanna eingeliefert. In West-Berlin folgten drei weitere Wochen Intensivstation. Die Thrombose trat auf, nachdem Karin S. ein paar Wochen lang die Anti-Baby-Pille Femovan aus dem Hause Schering eingenommen hatte. Die heute 26jährige gehört keiner Risikogruppe an. Sie hat ein normales Gewicht, raucht nicht und hatte vorher niemals Beschwerden. Noch heute, rund eineinhalb Jahre später klagt Karin S. über Schmerzen. Für die junge Frau liegt der Zusammenhang zwischen ihrer plötzlichen Erkrankung und der Pilleneinnahme klar auf der Hand.

Seit der Markteinführung Femovans 1987 wurden dem Bundesgesundheitsamt (BGA) in Berlin 320 Fälle unerwünschter Nebenwirkungen gemeldet, davon wurden 210 als schwer eingestuft. Im Vordergrund stehen dabei thromboembolische Komplikationen. Hormone aus der Östrogengruppe, die in allen oralen Kontrazeptiva enthalten sind, verändern vermutlich die Gerinnungsfähigkeit des Bluts. Es können Blutgerinnsel (Thrombosen) entstehen, Blutgefäße verengen oder verstopfen. Wenn sich ein solcher Blutpfropf löst und in der Blutbahn weitertransportiert wird, kann die Blutzufuhr für lebenswichtige Organe blockiert werden. Es kommt möglicherweise zu einem Lungen, Herz- oder Gehirnschlag. Sechs Todesfälle sind der Berliner Behörde im Zusammenhang mit Femovan bekannt.

Eines ist sicher: Alle oralen Kontrazeptiva bergen für Frauen ein thromboembolisches Risiko. Nach neuester Erkenntnissen ist es in den tiefen Beinvenen für Pillennehmerinnen vierfach höher. Warum geriet gerade Femovan in das Kreuzfeuer öffentlicher Kritik? So auch vor kurzem in einer Sendung des Politmagazins Monitor. Schering hatte es in einer aggressiven Werbekampagne als besonders gut verträglich angepriesen, als die supersanfte Pille schlechthin. Femovan hat tatsächlich eine niedrige Östrogendosierung. Bisher wurde vermutet, daß vor allem hohe Dosierungen für Thrombosen verantwortlich sind. Auffällig ist ferner, daß das Konkurrenzpräparat Marvelon in der Bundesrepublik zu Femovan eine niedrigere Melderate aufweist.

Bereits im Februar 1989 alarmierte das BGA die Fachöffentlichkeit. Anfang 1990 wurde eine weitere Arzneimittel-Schnellinformation herausgegeben. Darin werden die gemeldeten Nebenwirkungen als „Hinweis auf ein erhöhtes Risiko“ bewertet. Allerdings sieht das BGA keinen Grund, Femovan vom Markt zu nehmen. Ein „begründeter Verdacht“ sei bei der vorliegenden Datenlage nicht gegeben, so Gottfried Kreutzer, Leiter der Abteilung für Arzneimittelverkehr der Berliner Behörde.

Ein Erklärungsmuster für die Sonderrolle Femovans bot der Frankfurter Wissenschaftler Herbert Kuhl an. Seine im Auftrag von Schering erstellte Fettstoffwechselstudie behagte der Konzernleitung nicht. Kuhl hatte sich erdreistet, Parameter zu messen, die in der Ausgangsfragestellung nicht vorgesehen waren. Das Ergebnis, von Schering heute als „wissenschaftliche Akrobatik“ bezeichnet, gab folgende Zusammenhänge zu bedenken. Das in Femovan neu enthaltene synthetische Hormon Gestoden „kumuliere“ im Körper der Frau und behindere damit möglicherweise den in der Leber vorgenommenen Abbau des Hormons aus der Östrogengruppe (Ethinylestradiol). Damit ließe sich ein erhöhter Östrogenspiegel erklären, der Thrombosen bedingen könnte.

Dem BGA ist die Studie natürlich bekannt. Aber sie gilt nicht als stichhaltig, da verschiedene Hypothesen miteinander verknüpft würden, die alle noch nicht zweifelsfrei geklärt wären. Das hormonelle Zusammenspiel sei von äußerster Komplexität. Wie die verschiedenen künstliche Hormone miteinanderander reagieren und welche Auswirkungen das alles hat, sind für das BGA „offene Fragen“. Immerhin hat das Amt weitere ergänzende Untersuchungen zur Kuhl -Studie in Auftrag gegeben. Beruhigend wirken diese Aussagen natürlich nicht. Bei neueingeführten pharmazeutischen Produkten dienen die PatientInnen offensichtlich noch lange Zeit als unfreiwillige Versuchspersonen.

Im Hause Schering erklärt man sich die erhöhte Melderate schlicht mit der „intensiven Pressediskussion“. In anderen Ländern sei kein signifikanter Unterschied zwischen den verschiedenen Präparaten festzustellen. Auch das BGA argumentiert auf ähnlicher Ebene. Den betroffenen Frauen ist damit natürlich nicht geholfen. Karin S., die sich inzwischen entschlossen hat, eine Selbsthilfegruppe zu gründen, ist „tierisch sauer“, weil das Bundesgesundheitsamt nach ihrer Meinung seiner Aufsichtspflicht nicht genügend nachkomme.

Schering will zum Marktführer Marvelon nicht schlechter abschneiden. Aber das thromboembolische Risiko wird dabei keineswegs geleugnet. Nach Angaben des Konzerns liegt es bei 0,125 pro 1.000 Frauenjahre (ein Frauenjahr umfaßt 13 Zyklen). Hochgerechnet heißt das: Bei einer Million Frauen kann 125mal eine Thromboembolie auftreten. Aber Femovan ist wie jede Anti-Baby-Pille kein Medikament für einen relativ kleinen Patientinnenkreis, sondern wird weltweit millionenfach eingenommen. Schering machte in der Bundesrepublik den stolzen Umsatz von 34 Millionen D-Mark (weltweit 93 Millionen). Seit der von Schering vermuteten gezielten „Kampagne“ gegen Femovan ist der Absatz allerdings erheblich zurückgegangen.

Das Argument, der „Medienrummel“ sei für die erhöhte Melderate verantwortlich, hat allerdings in einer Hinsicht Plausibilität. Die gesundheitlichen Risiken, die mit jeder Anti-Baby-Pille verbunden sind - dazu zählen neben Thrombosen erhöhter Blutdruck, Kreislaufbeschwerden, Kopfschmerzen - sind zwar alle bekannt, werden aber vielfach von der Ärzteschaft verdrängt - und auch von den betroffenen Frauen. Kommt also eine Pille besonders in die öffentliche Debatte, werden viele hellhöriger. Wie eine Mitarbeiterin des feministischen Frauengesundheitszentrums (FFGZ) in Berlin berichtet, erkennen viele Frauen erst auf Nachfrage, daß zum Beispiel „ein bißchen Kopfschmerz“ mit der Pilleneinnahme zusammenhängen könnte.

Für viele Frauen ist die Pille eben ein relativ sicheres Verhütungsmittel, das sie sich nicht madig machen lassen wollen. Gleichzeitig läßt aber die Aufklärung über mechanische Methoden - die keinerlei Nebenwirkungen haben immer noch zu wünschen übrig. FrauenärztInnen favorisieren im allgemeinen die oralen Kontrazeptiva gegenüber Diaphragma und Kondom. Natürlich spielen dabei auch die wirtschaftlichen Interessen der Pharmaindustrie eine Rolle. Aber auch die Frauen selbst lassen sich allzu bereitwillig in dem Glauben wiegen, die Pille sei eine alles in allem harmlose Angelegenheit.

Helga Lukoschat

Das FFGZ Berlin ist bereit, eine Selbsthilfegruppe von Frauen zu unterstützen, die mit Femovan negative Erfahrungen gemacht haben. Dort kann auch über die Möglichkeit juristischer Schritte (Schadensersatzansprüche) beraten werden. Kontakt: FFGZ Berlin, Bamberger Straße, 1000 Berlin 30. Tel: 213 95 97