piwik no script img

Deutsch-Mark-Rausch und Deutsch-Mark-Frust

■ In Ostberliner Kneipen feierten die DM-Neubürger die Einführung der D-Mark / „Sie trinken, bis die letzte Ost-Mark und das Bier alle sind“

Ost-Berlin. „Alles umsonst - Abschied von der DDR“ - so der Titel der DDR-Mark-Abschiedsfete des autonomen „Kunstvereins Lichtenberg e.V.“ in ihrem Karlshorster Domizil „Das Haus“. Natürlich ist auch dort nicht alles umsonst, der Eintritt beträgt 20 Mark - wahlweise zahlbar in Ost oder West. Drinnen im Saal hören Freaks hingebungsvoll einer Rockband zu, in einem anderen Raum werden Videos aus der DDR -Geschichte vorgeführt und im Garten sitzen Familien und tauschen sich über die Fußball-WM aus. Sie brauchen auch nicht lange beim Theoretisieren zu bleiben: Umgehend werden drei Fernseher ins Freie gestellt.

Weniger idyllisch geht es vor dem „Freien Bürgerzentrum“ in Adlershof zu. Der „Tanz in die D-Mark“, für den auf vielen Plakaten geworben wurde, endet für viele bereits vor den Toren des ehemaligen Stasi-Objektes. Lediglich wer eine rote Eintrittskarte vorweisen kann, wird - immer schön einer nach dem anderen - ins Heiligtum vorgelassen. Einige der Ausgesperrten machen ihrem Unmut Luft, indem sie gegen das schon in alter Stasi-Zeit Stabilität zeigende Wellblechtor treten oder die auf der Umfriedungsmauer für Ordnung sorgenden - wehe dem, der rübersteigt! - jungen Männer mit nun wertlosen Aluchips bewerfen.

Mit weniger Pomp angekündigt, dafür auch mit weniger strengen (Einlaß-)Sitten, sind die Feste in den Kiezkneipen. „Trinken bis die letzte Ost-Mark alle ist“ war die Devise in der Gaststätte „Zur guten Laune“ in Friedrichshain. Der Wein ist schon um zwölf alle, doch die meisten trinken sowieso nur Bier und haben bereits einen Pegelstand erreicht, bei dem das unterscheiden einzelner Getränke kaum noch möglich ist. Im verrauchten Hinterzimmer wird immer wieder schön laut und falsch „So ein Tag, so wunderschööööön, wie heute“ gebrüllt, und alle sind selig. Man schmeißt zum letzten Mal mit Ost-Knete um sich, und der einzige Miesmacher im Raum, der es gewagt hatte, einen skeptischen Einwurf laut werden zu lassen, wird umgehend aus der „Tischgemeinschaft“ ausgeschlossen. Hatte er es doch gewagt zu sagen: „Also richtig wohl fühl ich mich dabei eigentlich nicht. Bei uns im Bekleidungskombinat gehen schon seit langem Entlassungsgerüchte um - was, wenn nach der D-Mark -Umstellung unsere Bude völlig dicht macht?“

Ein ganz anderes Bild zeigt sich im „Literaturclub“ Conrad -Blenkle-Straße in Prenzlauer Berg. Trotzig hängt nach wie vor die DDR-Fahne über dem Tresen, die Stimmung ist gedrückt, sarkastische Bemerkungen über den D-Mark-Rausch der Mitbürger machen die Runde. Alles starrt auf die Uhr, eine Anspannung fast wie zu Silvester. Dann ist sie da, die Sekunde Null. Draußen gehen Feuerwerkskörper in die Luft, drinnen erreicht die lähmende Stimmung derweil ihren Tiefpunkt. Vor den großen Fenstern will die Autoschlange mit Ziel „Deutsche Bank, Alexanderplatz“ nicht mehr abreißen.

Plötzlich springt Anarcho-Ralf auf, rennt raus und kommt nach fünf Minuten wieder. Fragende Gesichter. Ralf: „Ick hab eben mein letztes Westgeld auf die Straße geschmissen Mann, hat der Trabifahrer geguckt, als es plötzlich gegen seine Frontscheibe knallte!“

Olaf Kampmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen