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Die Betriebsverfassung

■ Der Betriebsrat im Spannungsfeld zwischen gleichberechtigter Vernetzung der Belegschaft und dem Vorrang der Unternehmensautonomie

Der rote Faden

Teil 7

Auf die betrieblichen Interessenvertretungen in der DDR kommen eine Vielzahl praktischer Probleme zu. Wie sie Einfluß nehmen, im Konfliktfall Interessen und Rechte durchsetzen können, wird in dem kürzlich übernommenen Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) geregelt.

Das „Sozialmodell“ dieses Gesetzes ist dreifach charakterisiert: 1. Betriebliche Konflikte sind partnerschaftlich auszutragen. Ein reiner „Herr-im-Hause„ -Standpunkt des Unternehmers wird abgelehnt. Der Unternehmer ist in wichtigen Fragen auf Kooperation und Beteiligung verpflichtet. Aber auch die Beschäftigten und ihre Vertretung sind auf Partnerschaftlichkeit und Stillschweigen in vertraulichen Angelegenheiten verpflichtet.

2. Das Gegenüber der Betriebsleitung ist die gewählte Vertretung aller Beschäftigten des Betriebes - der Betriebsrat -, nicht der Zusammenschluß der Arbeitnehmer die Gewerkschaft. Der dadurch begründete „Dualismus“ von Betriebsrat und Gewerkschaft ist der Grund zahlreicher rechtlicher Streitpunkte, in welchen Fällen und in welchem Umfang die Gewerkschaft im Betrieb handeln kann.

3. Betriebliche Mitbestimmung soll nur die Rahmenbedingungen der unternehmerischen Gewerbefreiheit (siehe roter Faden Teil 2) beeinflussen, nicht aber an deren Stelle treten. Deshalb fällt die Beschäftigtenbeteiligung vergleichsweise stark in sozialen Angelegenheiten aus. Sie spielt auch bei personellen Fragen eine gewisse Rolle. Aber sie wird umso schwächer, je mehr Fragen wirtschaftlicher Grundentscheidungen - etwa Standortentscheidungen, Investitionen, Produktpalette - im Spiel sind.

Das Sozialmodell der deutschen Betriebsverfassung verbleibt somit in einer ungelösten Spannungslage zwischen „wirklicher“ Gleichberechtigung der Beschäftigtenvertretung und Vorrang der Unternehmensautonomie - einer Spannungslage, die sich in zahllosen juristischen Einzelkonflikten niederschlägt. Sie dürfte der Grund dafür sein, daß der Betriebsrat von den Beschäftigten oft als „Vermittler“ zur Geschäftsleitung, als Organ der „Abfederung“ wirtschaftlich notwendiger Unternehmensmaßnahmen wahrgenommen wird.

1. Rund 80 Prozent aller Betriebsrats-Mitglieder gehören den DGB-Gewerkschaften an. So bleibt das Modell des Betriebsverfassungsgesetzes zwar für die Handlungsspielräume des Betriebsrats bestimmend, entkräftet wird aber faktisch der Dualismus von Betriebsrat und Gewerkschaft.

2. Von allen Betrieben mit mindestens fünf Beschäftigten (die nach § 1 BetrVG einen Betriebsrat errichten müssen) haben nur etwa 20 Prozent tatsächlich einen Betriebsrat. Legt man allerdings Beschäftigtenzahlen zugrunde, so stellt man fest, daß 66 Prozent aller Beschäftigten, die in einem Betrieb mit fünf und mehr Beschäftigten arbeiten, durch einen Betriebsrat vertreten werden. Beide Zahlen machen in der Gesamtsicht deutlich, daß mit wachsender Betriebsgröße die Aussicht auf die (gesetzlich gebotene) betriebliche Interessenvertretung steigt. Wo kein Betriebsrat existiert, sind die Beteiligungsreche des BetrVG bedeutungslos. Demnach hat in zahllosen kleineren und mittleren Betrieben der Bundesrepublik selbst das begrenzt partnerschaftliche Modell der Betriebsverfassung keine reale Geltung: Dort ist noch weithin klar, wer Herr im Haus ist.

U. M.

Der Betriebsrat

Das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) enthält in seinem vierten Teil (§§ 87-113) detailliert die Beteiligungsrechte des Betriebsrates. Eine allgemeine Definition seiner Rolle findet sich dagegen nicht. Stattdessen gibt es eine Reihe von Bestimmungen, die die Beziehung des Betriebsrates zur Belegschaft, dem Arbeitgeber und den Gewerkschaften regeln.

1. Betriebsrat und Belegschaft. Laut § 7 ff. BetrVG wird der Betriebsrat von allen volljährigen Arbeitnehmern eines Betriebes, ArbeiterInnen und Angestellten mit Ausnahme der leitenden Angestellten (§ 5 Abs. 3 BetrVG) gewählt. Er ist damit die Interessenvertretung der Belegschaft. Das ergibt sich auch aus einer Reihe gesetzlicher Aufgaben; zum Beispiel hat der Betriebsrat darüber zu wachen, daß die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze und anderen Bestimmungen durchgeführt werden (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG), oder er hat Beschwerden der Beschäftigten entgegenzunehmen und gegenüber dem Arbeitgeber zu vertreten (§ 85 BetrVG).

Der Betriebsrat ist Vertreter der gesamten Belegschaft. Er hat darüber zu wachen, daß alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden (§ 75 Abs. 1 BetrVG). Das stößt auf Schwierigkeiten, wenn auch innerhalb der Belegschaft Interessenkonflikte auftreten. Eine besondere Vertretungspflicht trägt ihm das Gesetz für typischerweise benachteilgte Gruppen auf: Für behinderte, ältere und ausländische Arbeitnehmer (§ 80 Abs. 1 Nr. 4, 6 und 7 BetrVG). Auch hat er die Pflicht, gegen die Benachteiligung von Frauen zu handeln (vgl. § 75 Abs. 1 BetrVG).

2. Betriebsrat und Arbeitgeber. Von Arbeitgeberseite wird gern auf § 2 Abs. 1 BetrVG verwiesen, wonach Arbeitgeber und Betriebsrat vertrauensvoll zum Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebs zusammenarbeiten. Ergänzend heißt es in § 74 BetrVG unter anderem, daß Arbeitgeber und Betriebsrat über strittige Fragen mit dem ernsten Willen zur Einigung zu verhandeln haben.

All dies ändert nichts an der Rolle des Betriebsrates als Interessenvertretung der Beschäftigten. Es betrifft aber die Art und Weise, wie diese Aufgabe zu erfüllen ist. Insbesondere darf der Betriebsrat keine Arbeitskämpfe zum Beispiel zur Erzwingung betrieblicher Regelungen durchführen (vgl. § 74 Abs. 2 BetrVG). Betriebsratsmitglieder können jedoch an gewerkschaftlichen Arbeitskämpfen teilnehmen.

Weiterhin ergibt sich der Zwang zum Kompromiß (vgl. § 74 Abs. 1 Satz 2) als Grundprinzip des Betriebsverfassungsgesetzes. Der Betriebsrat mag eine Arbeitgebermaßnahme verhindern wollen, muß sich aber letztlich auf eine Regelung der Angelegenheit einlassen, die die Interessen beider Seiten berücksichtigt. Das heißt aber nicht, daß sich der Betriebsrat von vornherein nachgiebig zeigen muß. Da der Arbeitgeber mit umfassenden Eigentümerrechten ausgestattet ist, bedarf es regelmäßig eines hartnäckigen Kampfes des Betriebsrates unter Ausschöpfung aller Rechte, bevor ein fairer Interessenausgleich zustandekommt.

3. Betriebsrat und Gewerkschaften. Anders als bisher in der DDR und in vielen westlichen Ländern ist die betriebliche Interessenvertretung nicht unmittelbar Aufgabe der Gewerkschaften. Der Betriebsrat ist formal von den Gewerkschaften unabhängig. Das westdeutsche Arbeitsrecht nimmt eine deutliche Rollenverteilung vor zwischen der betrieblichen und der überbetrieblichen Vertretung der abhängig Beschäftigten. Die Gewerkschaften sind vorrangig für die übergreifende Durchsetzung von Mindestarbeitsbedingungen in Tarifverträgen zuständig.

Allerdings leugnet auch das Betriebsverfassungsgesetz nicht die große Bedeutung betriebsunabhängiger Unterstützung für die Bildung und die Arbeit des Betriebsrates. So kann eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft die erstmalige Wahl eines Betriebsrates einleiten (§ 17 Abs. 2 BetrVG). An Betriebsratssitzungen kann ein Beauftragter einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft auf Antrag eines Viertels der Mitglieder des Betriebsrates teilnehmen (§ 31 BetrVG). Gegen grobe Verstöße eines Betriebsratsmitgliedes oder des Arbeitgebers gegen seine gesetzlichen Pflichten kann eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft gerichtlich vorgehen (§§ 23, 119 BetrVG).

Der Autor ist ein an der Universität Bremen mit Schwerpunkt Arbeitsrecht ausgebildeter Volljurist.

Die Serie wird mit dem Thema Rechte des Betriebsrats und deren Durchsetzung fortgesetzt. Bisher sind erschienen: Staatsvertrag und Arbeitsrecht (22. 6.), Arbeitsrecht und Marktwirtschaft (25./26. 6.), Kündigung und Kündigungsschutz (3./5./11. 7.). Die Artikel können beim taz-Archiv, zu Händen Randy Kaufmann, Kochstraße 18, 1 Berlin 62, bestellt werden.

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