: Bombige Überraschungen
■ Militaria-Sammler lagern immer mehr Bomben in ihren Wohnungen / Polizei entdeckte in Tempelhof hinter Rigipswand 142 Granaten, 10.000 Schuß Munition und 5 Kilo Sprengstoff / Waffen kommen von den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkrieges
Berlin. Warschauer Pakt und Nato rüsten ab - Berliner Militaria-Sammler rüsten auf. Scharfe Granaten, Panzerfäuste und Sprengstoff lagern die Waffen-„Narren“ in ihren eigenen Wohnungen. Ende Juli beschlagnahmte die Polizei in Tempelhof Handgranaten, Granatwerfer, 10.000 Schuß Munition und fünf Kilo Sprengstoff. Der 30jährige Jürgen B., Marktbudenaufsteller, wurde festgenommen, „unter Auflagen“ aber wieder freigelassen. Bei Ermittlungen entdeckte die Polizei ein weiteres Waffenlager. Der 23jährige Norbert K. hortete sechs Offensiv-Handgranaten, Zünder, 50 Kilo Sprengstoff und eine Panzerfaust in seiner Kreuzberger Mietwohnung. Norbert K. wurde am vergangenen Dienstag festgenommen. Manche handeln auch offen mit Waffen: Auf dem Osteuropa-Markt am Potsdamer Platz wollte der 39jährige Pole Janusch L. drei scharfe russische Splitterhandgranaten verkaufen.
Seit Beginn des Jahres stellte die Polizei 90 Waffen, 60 Kilo Sprengstoff, 145 Granaten und vier Granatwerfer sicher. Wie gefährlich die Munition ist, demonstrierte gestern im Grunewald Kommissar Martin Volk. Er deponierte auf dem Sprengplatz der Polizei eine verrostete Werfergranate aus dem Zweiten Weltkrieg unter einem Auto. Die Granate in der Größe einer Bierflasche riß bei der Explosion die halbe Beifahrertür und einen vorderen Kotflügel weg. Splitter flogen bis zu 80 Meter in die Luft. Polizeipräsident Schertz warnte vor der gefährlichen Sammlerei: Manipulationen an den gefundenen oder gekauften Sprengkörpern könnten zu schweren Verletzungen und auch zum Tod führen. Die Sicherungen in den Granaten seien zum Teil defekt.
Daß Jürgen B. die Waffen hinter einer Rigipswand versteckt hat, ist kein Zufall. „Denn Waffen, die zur Tötung von Menschen führen können, dürfen nach alliiertem Recht nicht gelagert werden“, erklärte Staatsanwältin Monika Diederichs, die gegen die Waffenhändler ermittelt. West-Berlins Polizei stieß nicht zufällig auf den Straftäter. Der entscheidende Tip kam von der Volkspolizei Potsdam.
Im gesamten Kreis Potsdam und Königs Wusterhausen sind immer häufiger Munitionssucher mit Elektrosonden unterwegs. Dort, wo vor 45 Jahren deutsche Truppen den letzten Rest von Hitlers „1000jährigem Reich“ verteidigten, findet man überall noch Wehrmachtsmunition. Ein DDR-Bürger hat vor zwei Monaten zwei „selbstfahrende Sprengsätze“ gefunden. Einen der ferngelenkten Minipanzer hatte er mitgenommen, wollte ihn entrosten und in seinen Garten stellen. Der Sprengsatz war scharf, erzählte Volkspolizeioberrat Wolfgang Marczak gestern. Ein großes Problem ist auch die Moral der Rotarmisten in der DDR. Offiziere sollen den Verkauf ihrer Rüstung inzwischen organisiert haben.
Dirk Wildt
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