Struktureller Rassismus?: Jenseits von PoC und BPoC

Nach der Turnübung rief der Trainer: „Applaus für unseren schokobraunen Freund!“ Was macht man da als Zuschauer? Eine Kolumne von Arno Frank.

Bild: imago images / JOKER

Von ARNO FRANK

Es ist schon eine Weile her, da war ich hier im örtlichen Turnverein zu Gast. In der Halle hockten gut 200 Leute, meistenteils Eltern der Kinder und Jugendlichen, die auf der Bühne ihr Gelerntes darboten – mehr schlecht als recht. Zum krönenden Abschluss allerdings zeigte ein Halbwüchsiger, wozu er am Reck fähig war, und das war allerhand. Nach dem letzten Absprung, der Junge stand noch schwer atmend auf der Matte, trat ein vierschrötiger Typ ans Mikro. Das war sein Trainer, und er rief in den Saal: »Einen donnernden Riesenapplaus bitte für unseren schokobraunen Freund!«

Stille.

Beziehungsweise natürlich keine Stille, sondern donnernder Applaus. Ein verwackeltes Video davon auf Twitter, und der Trainer wäre seinen Job los gewesen. In der Halle aber nur begeisterte Gesichter. Keine Empörung über den »schokobraunen Freund«, nirgends. Das musste er sein, dieser strukturelle Alltagsrassismus. Genau das.

Nach der Veranstaltung gratulierte ich dem Nachwuchssportler zu seiner Leistung und erkundigte mich, ob dieser Trainer … nun ja … ob rassistische Zuschreibungen etwas sei, unter denen er in diesem Verein regelmäßig … ob ihm nicht selbst … ob ich irgendwas tun konnte? Sichtlich irritiert über meine gestammelten Vertraulichkeiten zuckte er die Schultern, er stamme eben aus Bangladesch und schüttelte vehement den Kopf: »Ich war gut, oder?«

Der Junge war Sieger an diesem Nachmittag. Und er hatte kein Interesse, sich von einem Fremden einreden zu lassen, er wäre hier das Opfer. Ohne Rückhalt durch den Betroffenen mochte ich den Trainer, nebenbei Inhaber eines schwarzen Gürtels in Karate, nur ungern konfrontieren. Dazu hätte ich auf den »schokobraunen Freund« einreden müssen, ihm die Diskriminierung erst einmal erklären, der er da ausgesetzt war.

Das wäre dann umgekehrtes »Gaslighting« gewesen – so der Fachbegriff für die gezielte Desorientierung und Manipulation von Opfern psychischer Gewalt. Erst nach erfolgtem »Mansplaining« beziehungsweise »Whitesplaining«, noch so zwei Fachbegriffe, hätte ich mich als zuverlässiger »Ally«, noch so ein Fachbegriff, erweisen können. Und was wäre der aktuelle US-Import für einen Diskriminierten, der keine Diskriminierung empfinden mag? Was der Fachbegriff für einen Nichtbetroffenen, der sich eine »Sprechposition« erkämpft, um dem Betroffenen zu seinem Recht zu verhelfen? »Advocacing«? »Mandate Pirating«? Gibt es nicht.

Und doch ist es das Verdienst soziologischer Fakultäten an Universitäten in einer Entfernung von mindestens 6.381 Kilometern zu Deutschland, hiesige Debatten um Fachbegriffe zu bereichern. Wer sie fröhlich benutzt, schluckt neben dem Köder auch den ideologischen Haken.

Nicht, dass über neokoloniale »Cultural Appropriation«, unreflektierte »White Privileges« oder die Unsitte des verletzenden »Misgenderns« nicht diskutiert werden könnte. Die akademoiden Begriffe selbst aber haben etwas Übergriffiges, Zuschnappendes. Ihre Verwendung ist schon der vollendete Zirkelschluss, dass das Bezeichnete tatsächlich obwaltet. Wird eine »Micro Aggression« konstatiert, liegt sie bereits unabweislich vor. Beschwerden gegen eine mit solchen rhetorischen Fangeisen gespickte Diskussion werden nicht angenommen, das wäre »Tone Policing«. Einen Kontext gibt es nicht.

Dabei hat sogar der »schokobraune Freund« einen Kontext. Der betreffende Trainer, lernte ich später, kümmert sich gezielt um migrantische Talente. Er fördert sie ehrenamtlich bis zur Wettkampfreife, anstatt sie auszugrenzen oder auflaufen zu lassen. Leider ist er Fachmann fürs Turnen, nicht für Fachbegriffe wie »PoC«, »BPoC« oder »BIPoC«.

Das macht es nicht besser. Es macht die Sache nur komplizierter.

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