: „...die Nase voll“
■ Elsässisches Dorf erstickt in Autoreifen/ Deutscher stapelte 70.000 und verschwand/ Behörden machtlos
Mülhausen (afp) — „Wir wollen das nicht mehr sehen. Wir haben die Nase voll!“ macht der Bürgermeister des knapp 500 Einwohner zählenden oberelsässischen Michelbach-le-Haut, Bernard Birger, seinem Ärger Luft. Anklagend zeigt er auf einen riesigen schwarzen Berg am Rande des beschaulichen Dörfchens: Mindestens 70.000 gebrauchte Autoreifen türmen sich hier bis zu zehn Meter hoch auf — auf einem Gelände von der Größe zweier Fußballfelder. Seit nunmehr drei Jahren wird das in der Nähe der Schweizer Grenze gelegene Dorf Opfer eines ebenso ungewöhnlichen wie undurchsichtigen Imports: Im Juni 1989 begann ein Deutscher namens Lothar Ullrich, gebrauchte Autoreifen aus der Schweiz auf einem Gelände zu lagern, das er von einem Michelbacher angemietet hatte. Er wolle die Reifen nur zwischenlagern und dann in die Dritte Welt ausführen, versicherte Ullrich. Doch die Michelbacher merkten schnell, daß die Reifen entgegen dieser Zusage nicht weiterbefördert wurden und der Berg immer weiter anwuchs. Zwei bis drei Lastwagen voll, so Bürgermeister Birger, seien täglich herangeschafft worden. Im September 1989 alarmierte er schließlich die zuständige Präfektur in Colmar, die den Importeur aufforderte, das Lager, für das niemals eine Genehmigung beantragt oder erteilt wurde, bis Juni 1990 zu räumen. Doch Lothar Ullrich war von da an unauffindbar. Der Bürgermeister verweist auf die Gefahren, die von diesem nur 20 Meter von einigen Wohnhäusern entfernten Depot ausgehen. „Stellen Sie sich mal vor, was passiert, wenn der Gummiberg in Brand gerät, das kann zu einer Katastrophe führen.“ Gefahr drohe auch den Kindern des Dorfes, die den Reifenberg als Abenteuerspielplatz entdeckt haben. Die Präfektur ist hilflos: Eine Beschlagnahme sei nicht möglich, da das Depot einem Ausländer gehöre. Dieser müsse den Müllberg auch entfernen. Klar ist für Bürgermeister Birger jedoch, daß schnell etwas geschehen muß: Anonyme Anrufer haben bereits angekündigt, das Problem auf ihre Weise zu regeln — mit Zündhölzern.
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