Obdachlosenhilfe am Hansaplatz: Wärme der kalten Schulter

Ab 2019 soll es für die Berliner Obdachlosenhilfe mit neuen Räumen einfacher werden, ihre Gäste zu unterstützen.

Bild: picture alliance/Marijan Murat/dpa

von TORBEN BECKER

Über ihren Köpfen rattert die S-Bahn. Immer sonntags drängen sich Obdach- und Wohnungslose in kleinen Gruppen in dem Backsteinbogen unter den Gleisen am Hansaplatz, warten auf eine warme Mahlzeit, einen Schlafsack oder zusätzliche Kleidung für kalte Nächte. Das wird ihnen hier von der Berliner Obdachlosenhilfe e.V. (BOH) zur Verfügung gestellt. Doch selbst noch im Schatten gemiedener S-Bahn-Bögen, sind die Parias der Stadt und ihre Unterstützer*innen nicht immer gerne gesehen. Zuversicht verspricht die nahe Zukunft, wenn der Verein neue Räume in einem neuen Hausprojekt der Wohnbaugenossenschaft am Ostseeplatz in der Wegginder Lynarstraße bezieht.

Viele Konflikte überlagern sich am Hansaplatz. Anwohner*innen hätten sich über Vermüllung, aggressives Verhalten und betrunkene Männergruppen beschwert, benennt Thomas Isenberg (SPD), Abgeordneter für den Wahlkreis Mitte 3, den „hohen Problemdruck“ am Hansaplatz. „Nicht jeder Ort ist geeignet für viele Menschen, die obdachlos sind, weil der Ort dann unter Umständen von einem großen Teil der Bevölkerung nicht mehr als Lebensraum angenommen wird.

Doppelstrategie gegen Angsträume

Isenberg spricht in diesem Zusammenhang von "Angsträumen". Eine obdachlose Frau, die in Decken eingeschlagen bettelnd vor dem hiesigen Supermarkt am U-Bahnhof kauert, schildert die Atmosphäre anders aus bodennaher Sicht. Tagsüber seien die Menschen am Hansaplatz nett, aber die Nacht würde sie dort nicht verbringen, seitdem nachts Männer auf sie urinierten. Sie fühle sich nicht sicher.

Deshalb bedürfe es einer Doppelstrategie aus „Prävention und Präsenz“, meint Isenberg: „Das bedeutet, dass wir mehr Sozialarbeit brauchen. Das bedeutet den Ausbau des Hilfesystems. Präsenz bedeutet aber auch mehr Kümmerer.“ Damit meint er das Ordnungsamt und die Polizei

Es Bedarf einer Rückkopplung

Angesichts der aktuellen Lage in welcher „Kümmerer“ bereits eingebettet sind, spricht Johannes W., der seit zwei Jahren bei der BOH aktiv ist und seinen Sonntag in den Vereinsräumen in der Nähe der Pankstraße im Wedding verbracht hat, jedoch eher von einem mangelorientiertem Angebot. Symptome würden zwar behandelt, doch die Ausgrenzung im Alltag bleibe unangefochten: „Es fehlt eine Art Rückkopplung zwischen den Betroffenen und der Gesellschaft“, erklärt er.

Erst auf diese Weise könnten Bedarfe obdach- und wohnungsloser Menschen politisch und gesellschaftlich berücksichtigt werden. Denn tatsächlich sind viele öffentliche Debatten über Obdach- und Wohnungslose von einem paternalistischen Ton geprägt. Sie werden selbst oft nicht als politische Subjekte, sondern in erster Linie als Hilfsbedürftige wahrgenommen.

Während der Tourbus der Obdachlosenhilfe für die Essensausgabe am Hansaplatz bestückt wird, klirrt es in der Küche und der Eintopfdampf zieht in den Vorraum, wo andere ehrenamtlichen Unterstützer*innen noch Kisten mit Geschirr und Kleidung packen. Seit fünf Jahren unterstützen sie Menschen wöchentlich auf drei unterschiedlichen Routen in Berlin. „Alle können hier mitmachen“, erzählt ein Gast im Vorbeigehen. Er selbst lebt seit einigen Monaten auf der Straße, seinen Lebensunterhalt erfährt er bei Foodora und in seiner Freizeit ist er ehrenamtlich aktiv.

In seinem Gesicht kann man viele Erlebnisse ablesen, die Obdachlosigkeit nicht direkt. Er treibe viel Sport, sein Minijob erleichtere das. In der Hoffnung, dass sich nicht nur für ihn etwas ändert, hat er ein drängendes Bedürfnis seine Erfahrungen zu teilen. Wie Johannes sieht er die Ursachen für Obdachlosigkeit in den prekären Wohnverhältnissen: „Ich brauche ein stabiles Umfeld, sprich eine Wohnung.

Die Lösung: Berliner Mischung

Ein Bedürfnis, welchem Richard Schmitz, Vorstand der Wohnungsbaugenossenschaft am Ostseeplatz, Rechnung tragen möchte. Gegenüber der taz sprudeln seine Visionen der Berliner Mischung am Telefon förmlich hervor: In der Weddinger Lynarstraße entsteht unter seiner Federführung ein soziales Wohnbauprojekt, das neben anderen Trägern ab Februar 2019 auch die BOH ins Haus holt.

Die Gewerberäume im Erdgeschoss werden ausschließlich an soziale Projekte vermietet: ein Austauschort für den Kiez. Darüber liegen sogenannte Cluster-Wohnungen. Hier werden Menschen mit eigenen Zimmern und Gemeinschaftsräumen in Gruppen leben. „In den Wohnungen gibt es Menschen aus unterschiedlichsten sozialen Schichten und kulturellen Zusammenhängen: WGs mit Geflüchteten und Menschen mit Lernbehinderungen, Alleinerziehende, Familien und aus der Obdachlosigkeit Kommende. Berliner Mischung eben“, meint Schmitz.

In ihren neuen Räumen kann die Obdachlosenhilfe Gäste nicht nur mit Essen und Kleidung versorgen, sondern auch dreimal wöchentlich im eigenen Nachtcafé beherbergen. Eine niedrigschwellige Möglichkeit, die die Situation am Hansaplatz vielleicht entschärft.

Informationen zur Berliner Obdachlosenhilfe e.V.

Informationen zur Wohnbaugenossenschaft am Ostsseplatz

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