Zu groß für die Enge

■ Marquard-Bohm-Retrospektive im Checkpoint

Er spielte in Filmen von Fassbinder, Wenders, Reinhard Hauff, Thomas Schamoni, Roland Klick, Rudolf Thome und anderen illustren Regisseuren mehr als 35 Kinorollen, und doch wurde er nie ein Star. Obwohl er einer hätte werden können.

Anfang der siebziger Jahre verglich man Marquard Bohm mit Jean- Pierre Leaud, der das Geschöpf Truffauts war, und Jean-Paul Belmondo, wie Godard ihn erschuf. An Bohm hatte vor allem Rudolf Thome Hand angelegt. Thome drehte von 1968 bis 1970 drei Filme mit Bohm: Detektive, Rote Sonne und Supergirl. In diesen drei Streifen prägte Bohm eine Art zu spielen, die man zuallererst aus Hollywood kannte, und die für deutsches Kino vorher schwerlich denkbar war. Bohm spielte sich selbst, oder zumindest überlappten sich seine Rollen so sehr, daß es erschien, als wäre er es selbst auf der Leinwand. Er lieh seine fettigen Haare, seine geschwollenen Augenlider und seine Boxernase den Pennern, Asozialen, Hippies, Durchgeknallten, auf die er zeitlebens programmiert blieb. Irgendwann verwischten sich Rolle und Realität (vielleicht waren sie schon von Anfang an deckungsgleich gewesen). 1983 erleidet Bohm einen Gehirnschlag, hört aber nicht auf zu spielen. Beginnt statt dessen in Bochum mit Theater, obwohl er seiner Meinung nach »nur da steht«, und bemüht sich um eigene, neue Projekte. Immer noch macht er Kino.

Vor allem die Thome-Filme und Deadlock von Roland Klick haben Bohms Image geprägt. In Rote Sonne bringt eine Frauen-WG (auch wenn es das damals eigentlich noch nicht gab) systematisch Männer um. Bohm ist der erste, der sich wehrt. In Detektive ist Bohm ein solcher, der eine Frau im Auftrag ihres Freundes beobachten soll, aber dann lieber mit ihr und dem Geld abhaut. In Supergirl spielt Bohm einen Schriftsteller, der Probleme mit einer Außerirdischen bekommt. In Deadlock, einem psychedelischen Spätwestern, ist er ein Bankräuber. Allen Rollen ist gemein, daß Bohm die offensichtliche Coolness des Filmhelden wie einen Schild vor sich herträgt. Die schiere Präsenz des Protagonisten — ständig rauchend, ständig trinkend — treibt die Ereignisse in eine Richtung, selten die Story, so gut wie überhaupt nicht die Dialoge. Bohm war eine Ausnahmeerscheinung im bundesrepublikanischen Kinoalltag, eben weil er durch seine Nonschauspielerei (oder »natural acting«, ganz wie man will) wie geschaffen für die Regisseure des neuen deutschen Films war, die zwar zuallererst eine sozialkritische Bestandsaufnahme ablieferten, ohne Sozialkitsch zu produzieren, aber auch das amerikanische Genrekino in deutsche Sprache und Verhältnisse übersetzen wollten.

Warum Bohm dann wie andere, weniger begabte, keine Karriere machte, sondern seine späteren Nebenrollen hauptsächlich immer wieder von alten Freunden oder seinem ungleichen Bruder Hark Bohm bekam, beantwortete er 1987 in einem Interview mit 'filmwärts‘: »Wenn du zum Drehort kommst mit einer zerschlagenen Visage, da fragt man sich doch hinterher, nehme ich den noch? Viele haben zu mir gesagt, nee, Marquard, mit dir kann man nicht mehr drehen. Ich hab mich nunmal leider furchtbar viel geprügelt.« Selbst Thome wollte nach Detektive nicht mehr mit Bohm drehen, tat es aber doch. Vielleicht war die Unzuverlässigkeit des Schauspielers Bohm nicht der einzige Grund, vielleicht war es auch seine Unflexibilität, vielleicht nur sein Image, fest steht, daß Bohm mitsamt vieler der Filme, in denen er spielte, in Vergessenheit geriet.

Das Checkpoint hat anläßlich einer kleinen Retrospektive auch die beiden Kurzfilme im Programm, bei denen Bohm selbst Regie führte. Na und (1967) stellt einen möglichst ereignislosen Tag im Leben eines Arbeitslosen nach, Bohm taumelt desinteressiert an allem durch die Stadt, von einem Bewerbungsgespräch zum nächsten. Die dreißig Minuten sind ohne eigentliche Geschichte, aber trotzdem im Fluß, wunderschön gebrochen durch von Godard abgeschaute Jumpcuts. Das ziellose Herumirren beginnt morgens im Bett mit programmatisch zu verstehender Bluesmusik und endet abends im Bett mit Bier und Jazz.

Terror Desire von 1971 versucht mit Klischees amerikanischer Action- und Roadmovies zu spielen und entwickelt dabei ein paar hübsche Ideen, bleibt aber zu konfus und wirr. Die Form wird zu weit aufgebrochen, als daß sie noch erkennbar bliebe. Immerhin führt Terror Desire schön vor Augen, was auch Marquard Bohm selbst scheitern ließ: Die amerikanischen Mythen brauchen mehr Platz, als ihnen die deutsche Enge bieten könnte. Thomas Winkler

Filme von und mit Marquard Bohm laufen vom 16. bis 29.April im Checkpoint, Leipziger Straße55 in Mitte. Genaueres an den jeweiligen Tagen im Programmteil der taz. Am 25. ist Bohm selbst anwesend.