Die Zukunft der Tageszeitung (II): Sie liest alles, immer, auf Papier

Schon seit 27 Jahren liest Ingrid Anna Gomolzig die taz. Was macht sie, wenn Zeitung nicht mehr gedruckt wird?

Wind, kein Problem von Digitalleser*innen Bild: André Wunstorf

von JÜRN KRUSE

Zweimal im Jahr fährt Ingrid Anna Gomolzig in den Urlaub. Vorher ruft sie in der Aboabteilung der taz an. Jedes Mal wird sie dann darauf angesprochen, was für eine niedrige Abonummer sie habe. Seit 1981 hat Gomolzig die taz abonniert. Und für die Urlaubszeit spendet sie ihr Abo an einen Häftling. „Und was, wenn die taz werktags nicht mehr gedruckt erscheint? Das würde ja dann gar nicht mehr gehen, die in den Knast zu schicken“, sagt sie. Tja. Hat sie wohl recht.

Gomolzig ist eine Leserin, wie sie sich jede Zeitung wünscht. Morgens, die taz wird bei ihr früh von einer Zustellerin gebracht, setzt sie sich an ihren Küchentisch, so ein vom Leben gezeichneter Echtholztisch, wie man ihn sich vorstellt, wenn man Astrid-Lindgren-Bücher liest, viel Licht scheint durch die Fenster. Der Efeu hängt vor der Scheibe, und der Birnenbaum trägt in diesem Jahr so viele dicke Früchte, dass es fast überheblich ist. Und dann liest sie. Und liest. Die gesamte taz.

Nur wenn sie etwas überhaupt nicht interessiert, überblättert sie es. „Ich kann nicht Kaffee trinken dabei“, sagt sie, „der würde kalt.“ Eigentlich müssten zweifelnde taz-Angestellte zu Gomolzig in den Husumer Stadtteil Rödemis fahren und sich in ihrer Küche die vernarbte Seele streicheln lassen.

Und immer blieb die taz

Ingrid Anna Gomolzig ist 82 Jahre alt. Sie ist nach dem Krieg in Hamburg aufgewachsen und ist 1976 nach Nordfriesland gezogen. Sie war bei den Grünen, als die Grünen noch alle blöd fanden; sie war für die Grüne Liste im Husumer Stadtrat, eine der ganz wenigen Frauen in dem Parlament; sie hat gegen alle Widerstände die Frauenberatungsstelle mitbegründet; sie bekam als Lehrerin keinen Parkplatz auf dem Schulgelände, weil sie einen „Atomkraft – Nein Danke“-Aufkleber auf dem Auto hatte.

Dann kam Tschernobyl – und ebenso wie die Akzeptanz der taz stieg auch die Akzeptanz ihrer politischen Arbeit. Anfang der 90er-Jahre wurde Gomolzig Konrektorin an ihrer Grundschule.

Der Direktor hätte gerne einen Mann als Stellvertreter gehabt – „trotz eines kompletten Frauenkollegiums“, sagt Gomolzig. Das wollte sie nicht, also bewarb sie sich. „Ich habe die Schule geliebt“, sagt sie, „Aber ich habe sie auch nicht vermisst seit ich im Ruhestand bin.“

Und immer blieb die taz. Gomolzig machte mehr Layoutreformen mit als die meisten taz-MitarbeiterInnen. Sie mag die harte Politik, sie mag es über Kolumnen ihren AutorInnen näher zu kommen, sie mag die Mischung, die ihr eine Tageszeitung bietet, „nicht nur gesammelt Schreckliches“, sie mag manche Kommentare nicht, „aber ich würde nie einen Brief schreiben und sagen ‚Hör mal zu, taz!‘ “.

„Ich will die gedruckte taz behalten“

Und ihr fehlt die taz, wenn sie nicht im Briefkasten liegt. So wie letzte Woche, als aus Versehen Die Welt geliefert wurde. Sie ist dann zum Bahnhof gegangen und hat sich eine taz gekauft. „An Tagen, an denen die taz nicht kommt, fühle ich mich informativ verloren“, sagt sie.

Finden Sie die taz eigentlich teuer? „Ja“, sagt Gomolzig, „aber angemessen, wie Einkaufen im Bioladen.“ Wann würden Sie kündigen? „Wenn die taz grundsätzlich gegen meine ökologischen und feministischen Grundsätze verstoßen würde.“ Und wenn sie nicht mehr gedruckt wird? Gomolzig spricht jetzt mit Nachdruck im Ton, wie es nur LehrerInnen können: „Ich will die gedruckte taz behalten.“