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Idiome der Kinderstube

■ „Higgelti, Piggelti, Pop!“ bei der 3.Münchner Biennale

Der Hund Jennie liegt mit Fieber im Bett, als Max von der Schule nach Hause kommt und sich in eine verharmlost bayerische Bühnenausgabe des 'Playboy‘ vertieft. Dazu singt Jennie treffend: „Warum die Sehnsucht...“, meint aber den eigenen Drang, in die Ferne zu schweifen, schließlich Primadonna zu werden. Bis dahin ist es ein weiter, verworrener Weg.

Maurice Sendak hat zwei seiner Geschichten zu einer „Zauberoper“ zusammengefaßt: Higgelti, Piggelti, Pop! und sein berühmtes Where the Wild Things Are. Oliver Knussen aus Glasgow schrieb die Musik, lieh den herumhampelnden Tieren und Pflanzen stimmlichen Ausdruck sowie einen riesigen Orchesterapparat.

Elaine Arandes (Sopran) machte eine ganz gute Figur als Max, hatte nur etwas zuviel Hüftschwung für einen vorpubertären Knaben. Die kreischende Topfpflanze Birgit Beer versuchte, mangelnde Körperbewegung durch Stimmakrobatik zu kompensieren. Andererseits spürte man gerade in dieser Rolle, wie statisch die Musik bisweilen in sich verharrt, daß sie wenig dramatische Zugkraft besitzt. Das ist schade, denn der Textdichter Maurice Sendak hat ja nicht nur schöne Bilder entworfen — Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner Pet Halmen hat sie mit handwerklicher Meisterschaft in überschäumende Phantasie umgesetzt; ein bißchen von Magritte geliehen.

Sendak erzählt eine Geschichte mit Hintergedanken. Er sieht das Phänomen der Angst als zentrales Problem der kindlichen Psyche. Indem er seinen Max mit Ungeheuern und fremden Situationen konfrontiert, letztlich aber siegreich daraus hervorgehen läßt, will er diffuse Ängste der jungen Zuschauer abbauen helfen. Diese Arbeit wird in der jetzigen Inszenierung nur bedingt geleistet: die schicken Ungeheuer lösen eher Bewunderung als Entsetzen aus, und der läuternde Schluß, die Rückverwandlung ins Kinderzimmer, ist nicht mehr als aufgesetzte Formel.

Dabei war gerade in der Musik das langsame Erwachen so sensibel vorbereitet. Knussens Musiksprache fand das Ohr der Kinder, denn sie ist in sich schlüssig und besitzt treffende Idiome. Die Charakterisierung der Figuren entsteht aus ihrem Gesang, gewisse Eigenheiten sind nachvollziehbar als Typisierungen. Das Orchester deckt nicht zu, sondern schafft, weitab jeder Banalität, stimmungsgerechten Hintergrund und Gegenwelt. Mal bedrohlich raunend, mal witzig und frech. Am Ende großer Beifall im vollbesetzten Haus. Helmut Mauró

Oliver Knussen (Musik), Maurice Sendak/Claus H. Henneberg (Text): Higgelti, Piggelti, Pop!. Im Gärtnerplatztheater wieder am 17., 25. und 29.Mai.

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