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Unterm Strich

Der Berg speiht und ruft und macht und tut. „Die zerstörerische Gewalt, aber auch die Faszination vulkanischer Aktivität hat die Menschheit seit ihren frühen Tagen geprägt.“ Dolles Ding. Und was ist die Meldung? Na, „durch das stark erweiterte Wissen der Forscher über Leben und Aktivität von Vulkanen ist es in einigen gut untersuchten Fällen sogar möglich gewesen, die Eruption neuer Magma aus den tiefen Schlünden der Erde vorherzusagen“. Hoho! Und wie beeinflußt das meinen Dienstagmorgen? Ganz einfach: Ich muß gleich hingehen und mir das soeben erschienene Buch „Von Pompeji zum Pinatubo – die Urgewalt der Vulkane“ von Robert Decker und seiner als Wissenschaftsjournalistin arbeitenden Frau Barbara besorgen. „Vor dem Leser wird das faszinierende Puzzle um das Phänomen des Vulkanismus und das Wissen der Vulkanologen üppig ausgebreitet.“ Das ist auf jeden Fall ziemlich hübsch. Wir schicken unsere als Tunichtgute arbeitenden Herzbuben, die dann auf dem Wohnzimmerteppich hocken und dies Jigsaw-Puzzle zu lösen versuchen, als das sich unser vulkanisch-eruptives Leben mittlerweile erweist.

Endlich ist einmal jemand einer Frage nachgegangen, die uns schon lange beschäftigt, nämlich der nach der Herkunft des Wortes Binsenweisheit, und er hat bei dieser Gelegenheit in schönster eulenspiegelscher Manier die Autoren der „Nordrhein-Westfälischen Bibliographie“ hinters Licht geführt. Niemand geringeres als Hans-Christian Sartorius war's, der treuen Lesern dieser Zeitung bestens bekannt ist als derjenige, der einem immer so hübsche Lyrik-Seiten beigesellt. Jener also schrieb die Genese des Wortes einer gewissen Wihelmine „Minna“ Binse zu, einer 1871 in Köln-Deutz unehelich geborenen Philosophin, die den deutschen Sprachschatz so unendlich bereichert hat mit einem Aufsatz „Was ist Wahrheit?“. Jene Wilhelmine also, Tochter eines rheinländischen Sektfabrikanten (Marke „Loreley Extra Cuvée“) und einer Kölner Chanteuse namens Vicky Lamour, soll in füher Jugend schon Stücke zur Versinnbildlichung der Marxschen Mehrwert-Theorie aufgeführt haben. Niemand von den rührigen Biographen hatte bemerkt, daß Sartorius das Datum der Kurzbio mit 1. April angegeben und angedeutet hatte, eine Flasche Burgunder möcht' wohl auch im Spiel gewesen sein. „Das Thema verdient Nachforschung“ hieß es dann aber nachsichtig, und nun gesellt sich Old Wilhelmine zu den anderen fadenscheinigen Gestalten, die sich nur als Lexikonartikel dingfest machen lassen: ein gewisser Dichter Rudolph Beck-Dülmen (Denker in dunkler Zeit), ein Komponist Otto Jägermeier, ein Phantom-Diplomat Dr. hc. Edmund Dräcker und ein schattenartiger Bundestagsabgeordneter Jakob Maria Mierscheid, der gelegentlich mit parlamentarischen Anfragen auf seine hinterbänklerische Nichtexistenz aufmerksam macht.

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