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Berlin sieht Felle davonschwimmen

■ Senat und Oppositionsparteien klagen gegenüber der Bundesregierung die Einhaltung des Umzugsbeschlusses ein

Empfindsam wie Seismographen reagieren Berlins Politiker allmählich, wenn in Bonn Termine für den Umzug von Parlament und Regierung an die Spree beraten werden. Als am Noch-Regierungssitz gestern verlautete, daß das Bundeskabinett seine Beratung über die Kosten des Standortwechsels verschieben werde, warnte am künftigen Regierungssitz dessen Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) vor möglichen Konsequenzen. Wer einen Aufschub des Umzuges wolle, so seine Diagnose, sei für eine generelle Aufhebung des Hauptstadtbeschlusses.

Diepgen, der sich gestern mit dem brandenburgischen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe (SPD) zu gemeinsamen Beratungen getroffen hat, sah in der Verzögerung des Umzuges zudem eine Gefährdung der für 1999 geplanten Fusion der Länder Berlin und Brandenburg. Wenn der Beschluß „nicht sachgemäß durchgeführt werde“, müsse man sich „ein gemeinsames Land noch einmal überlegen“. Woraufhin Stolpe befand, daß ein Aufschub dieses Vorhabens „ein schwerer Schlag für den Aufbau Ost“ sei.

Der Senat will, trotz der neuen Spekulationen in Bonn, am Umzugstermin 1998 festhalten und, so erklärte Sprecher Michael-Andreas Butz, darauf drängen, daß die für 1994 notwendigen Planungsmittel für den Umzug rechtzeitig in den Bundeshaushalt eingestellt werden. Der Senat sieht sich in seiner Haltung durch die Initiative der 30 Unternehmen gestärkt, die sich am Montag zu einem Interessensverbund „Berlin 1998 – Investoren für die Hauptstadt“ zusammengeschlossen haben. Viele Investoren, so befand gestern der Präsident des Bauindustrieverbandes Berlin-Brandenburg, Gerd Wallis, seien den kleinkarierten Umzugsstreit leid und drohten mit einem reduzierten Engagement oder der Absage ihrer Investitionen in Berlin. Die Region habe durch die verschleppte Umzugsentscheidung, für die Wallis eine „gezielte Anti-Berlin- Kampagne der Bonner Umzugsgegner“ verantwortlich machte, bereits schweren Schaden erlitten. Der Verbandspräsident forderte eine „überparteiliche Allianz“, damit Berlin bei der Abstimmung im Kabinett und im Bundestag keine weitere Schlappe erleide.

Während der SPD-Vorsitzende Ditmar Staffet Schaden nicht nur für Berlin und den ganzen Osten, sondern auch für die Glaubwürdigkeit deutscher Politik befürchtet, „wenn die Entscheidung jetzt nicht kommt“, findet die Grünen-Politikerin Michaele Schreyer gar, daß schon mit dem Umzug der Ministerien begonnen werden könne, für die in Berlin die Baulichkeiten bereits zur Verfügung stehen. dr

Siehe Seiten 4 und 10

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