: Anheimelnde Folklore-Klischees
■ Kampnagel-Saisoneröffnung mit Jean-Jacques Lemetre
Ein bißchen sieht das nach Folkloreabend aus: Violinen, Kontrabaß, Flöten, Klarinetten, Tabla, Harfe, Steel-Drums, Glockenspiel und vor allem viele Instrumente ferner Länder sind in einem Halbkreis aufgebaut. Zur Eröffnung der Kampnagel-Saison ein Gastspiel mit großem Namen: Träume vom blauen Planeten, ein szenisches Konzert von Jean Jacques Lemetre und Ariane Mnouchkine.
Nun klingt es auch schon: Meditative fernöstliche Laute mischen sich mit orientalischen Tänzen, die Violine spielt Abendländisches, Lemetre himself liefert ekstatische Percussionsoli. Indische Elemente wechseln mit russischen Rhythmen, rockigen E-Baß-Läufen und jazzigen Anklängen. Das ganze ist laut Programmheft das märchenhafte Zusammentreffen verschiedener Völker in einem fernen Dorf: „Und um den Fallstricken der Sprache auszuweichen, würden sie nur singen, spielen und tanzen.“
Das stimmt nicht ganz, damit aus dem Konzert eine „Legende musicale“ wird, hat Ariane Mnouchkine zwei „Erzähler“ eingeführt: Mann und Frau, wie einst im Paradies, tragen fremdländische Texte vor und tanzen. In weißen Kostümen mit wechselnden kosmopolitischen Insignien wie bunten Schürzen, Hüten, Tüchern oder Schleiern spielen sie die verschiedenen Volksvertreter. Da wird so manches Klischee hervorgeholt. Besonders komisch, haha, sind sie, wenn sie angstbibbernd im Nachthemd mit Schlafmütze und Taschenlampe zwischen den Musikern nach vorne schleichen. Zwischendurch miauen und bellen sie gar. Auch Katz und Hund dürfen am multikulturellen Verständigungstreffen teilnehmen.
Im zweiten Teil wird es richtig schlimm: Die Erzähler treten mit roter Knollnase und langen Bärten auf, Clownsnummer orientalisch, auch Lemetre selbst versucht sich als Komiker. Schließlich führt die Frau Marionetten , während er Seifenblasen fliegen läßt, die er mit einem Holzhammer zerschlägt. Poetisches Sinnbild oder kosmopolitisches Kindertheater?
Das wundert und enttäuscht. Frau Mnouchkine ist schließlich nicht irgendwer. Die Arbeiten der legendären Regisseurin, zuletzt die Atriden, werden allerorts in den Himmel gelobt. Die Musiker sind souverän und auch das akrobatische, stimmliche und mimische Talent der Erzähler Catherine Schaub und Simon Abkarian ist bewundernswert. Nun aber dieses Sammelsurium aus anheimelnden Volksklängen und Possenspiel. Nicht zuletzt, sicherlich ohne böse Absicht, ein Beispiel wie fremde Kultur vereinnahmt und lächerlich gemacht wird.
Am Ende animieren die Musiker zum Finalschlager zum Mitsingen. Hilfe, neben mir tönt es schon lalala. Da fehlt nur noch „We are the World“. Niels Grevsen
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