: Tote in Kurdistan – Proteste in Deutschland
■ Kämpfe und Anschläge in der Türkei / Haftbefehl gegen „Drahtzieher“ in Deutschland / Türkei freut sich auf Kanthers Abschiebe-Abkommen
Berlin/Istanbul (taz/AFP) – Bei Angriffen der türkischen Armee auf Stellungen der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) im Südosten der Türkei sind am Wochenende mindestens 77 Menschen ums Leben gekommen. Wie viele von ihnen PKK- Kämpfer sind, ist nicht bekannt. Zwölf Menschen starben durch einen „versehentlichen“ Bombenabwurf der türkischen Luftwaffe in der Provinz Sirnak. Bei einem Bombenanschlag in Istanbul, zu dem sich die PKK bekannte, wurden drei Touristen verletzt, darunter ein Deutscher. Unter diesen Bedingungen fanden gestern die Kommunalwahlen in der Türkei statt. In den Ausnahmeregionen in Südostanatolien waren rund eine halbe Million Soldaten und weitere 50.000 sogenannte „Dorfmilizen“ im Einsatz. Die prokurdische Demokratie-Partei DEP hatte die Wahlen boykottiert. Daraufhin setzte die PKK die Kandidaten aller anderen Parteien unter Druck, ebenfalls nicht an der Wahl teilzunehmen. Die Chancen, hier tatsächlich demokratische Wahlen abzuhalten, wurden von Beobachtern als denkbar gering eingestuft. Dabei sind die Wahlen für die Regierung von Ministerpräsidentin Tansu Çiller von größter Bedeutung. Gelingt der Opposition hier ein größerer Wahlerfolg, könnte das zu vorgezogenen Parlamentswahlen führen.
Kurden demonstrieren trotz Verbots
In Deutschland gingen am Wochenende die Proteste kurdischer Gruppen gegen die Politik der türkischen Regierung weiter. Am Samstag feierten in Frankfurt am Main etwa 2.000 Kurden das Newroz-Fest. In Mannheim versuchten etwa 5.000 bis 7.000 Kurden, sich zu einer Demonstration zu formieren, obwohl diese verboten worden war. Die Polizei, die schon im Vorfeld mit großangelegten Kontrollen versucht hatte, die Demonstration zu verhindern, ging mit Wasserwerfern gegen die Menschen vor. 22 Personen wurden festgenommen. Am Nachmittag bewegte sich der Zug unter starker Polizeibegleitung aus der Innenstadt hinaus. Am Grenzübergang Aachen-Nord verlief eine Sitzblockade von etwa 200 Kurden friedlich.
Unterdessen zeigte sich der türkische Botschafter in Bonn, Onur Öymen, entzückt über die Idee von Innenminister Manfred Kanther, mit der Türkei ein „Abschiebe-Abkommen“ für mißliebige Kurden zu schließen. Ankara warte derzeit nur auf einen konkreten Vorschlag aus Bonn, erklärte der Botschafter. Die Regierung sei bereit, völkerrechtlich verbindlich zuzusichern, daß aus der Bundesrepublik abgeschobene Kurden in der Türkei weder gefoltert noch hingerichtet würden. In der Kölnischen Rundschau gab Öymen zu, es sei in der Türkei „in Einzelfällen“ zu Folter und Mißhandlung von Gefangenen gekommen. Kanther besteht dennoch auf seinem Vorschlag. Gegen eine „massenhafte Abschiebung von Kurden“ wandte sich am Wochenende der CDU/CSU- Fraktionsvize Heiner Geißler. Er befürchtet in diesem Fall keine Entspannung der Situation, sondern deren Eskalation.
Am Samstag erging Haftbefehl gegen zwei mutmaßliche PKK-Funktionäre, die vom Generalbundesanwalt als angebliche „Drahtzieher“ der Aktionen im Juni 1993 und in der vergangenen Woche angesehen werden. Dem 23jährigen Senol G. und dem 33jährigen Ali G. wird Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen. Sie seien unter verschiedenen Decknamen für „terroristische und kriminelle Aktionen“ verantwortlich, wie für die Besetzung verschiedener Autobahnen in der vergangenen Woche.
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