: Knast für eine rote Nelke
■ Bremer Buchpremiere „Die vergessenene Justizopfer des Kalten Krieges“ Politische Verfolgungen hüben
„Ich habe in den 50er und 60er Jahren fast zweieinhalb Jahre in bundesdeutschen Gefängnissen verbracht. Einer der Gründe: Meine Mitgliedschaft bei der Freien Deutschen Jugend Westdeutschlands.“ Der Gerichtete ist Besucher eine Bremer Buch-Premiere ganz besonderer Art. Auf Einladung von Stadtbibliothek, der Landeszentrale für politische Bildung und der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes stellte der Bremer Anwalt und Buchautor Rolf Gössner am Mittwoch sein neues Werk vor.:„Die vergessenen Justizopfer des Kalten Krieges“ beschäftigt sich mit einer weitgehend unbekannten, weil düsteren Ära bundesdeutscher Justiz: Der Verfolgung von Kommunisten und Antifaschisten während der Zeit des kalten Krieges in der noch jungen Bundesrepublik. Der Betroffene im Anschluß an die Lesung: „Die Lüneburger Landesrichter, die mich damals wegen meiner linken Gesinnung hinter Schloß und Riegel brachten, hatten sich schon in der Nazi-Zeit mit Todesstrafen gegen Regime-Gegner hervorgetan. Kein einziger Blutrichter ist in der BRD zur Rechenschaft gezogen worden, – im Gegenteil.“
Renteneinbußen, Berufsverbote, Paß- und Führerscheinentzug, sowie langfristige Observationen durch den Verfassungsschutz: „Mehr als eine halbe Million Menschen sind direkt oder indirekt Opfer der politischen Justiz in Westdeutschland“, so Gössner. In der 17jährigen Ära seien ganze Familien in den Ruin geführt worden. Erst mit Beginn der Entspannungspolitik Ende der Sechziger fand diese unrühmliche Geschichte ein Ende. Gössner, profilierter Bürgerrechtler und seit 1990 rechtspolitischer Berater der Grünen im Niedersächsischen Landtag, ärgert sich massiv über die Einseitigkeit in der westdeutschen Geschichtsaufarbeitung: Auf der einen Seite werde eine brutale Abrechnung mit der DDR betrieben, doch kaum jemand erinnere sich daran, daß nach dem KPD-Verbot 1956 gar das Verteilen roter Nelken mit Freiheitsentzug bestraft werden konnte.
„So ungeheuerlich es klingen mag:“, schreibt Gössner, „Auch in der Alt-Bundesrepublik gab es in den ersten beiden Jahrzehnten politische Verfolgung großen Ausmaßes, gab es, unter dem Tarnmantel des Rechts , systematische politische Ungerechtigkeiten, deren Auswirkungen noch heute spürbar sind.“
So habe es zwischen 1951 und 1968 staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren gegen 150.000 bis 200.000 Personen, überwiegend KommunistInnen, aber auch bloße Kontaktpersonen gegeben. „Zwar“, so Gössner, „schloß nur etwa jedes zwanzigste Ermittlungsverfahren auch mit einer Verurteilung ab – das ergibt etwa 7.000 bis 10.000 Verurteilungen; dabei führten einfache, gewaltfreie, objektiv völlig „ungefährliche“ Formen der politischen Betätigung von Kommunisten zu mehrmonatigen, ja mehrjährigen Haftstrafen ohne Bewährung.“
Für den bekannten Bremer Strafverteidiger Heinrich Hannover, der als DER Kommunistenverteidiger schlechthin gilt, besteht „eine Schande bis in unsere Gegenwart“. In der Regel nämlich wurden den abgeurteilten Linken, die schon von den Nazis verfolgt wurden, auch noch die Rentenansprüche aberkannt. „Das“, so Hannover, „ist bis heute nicht rückgängig gemacht worden. Noch in der Gegenwart geschieht Nazi-Unrecht.“
Die „Opfer des kalten Krieges“ warten vergeblich auf eine Rehabilitierung. Die Frage aus dem Auditorium, ob es Wiederaufnahmeverfahren gebe, mußten die beiden Anwälte verneinen. Es gebe nun mal den Rechtstaatgedanken; wenn also einem Verfahren kein formeller Verfahrensfehler nachgewiesen werden könne, dann sei das Urteil eben weiterhin rechtens.
„Ein Teil des politischen Strafrechts“, erklärt Gössner, „ hat die 68er überlebt. Da sind immer noch ein paar recht obskure Paragraphen dabei.“ Das Strafgesetzbuch enthält nach wie vor Paragraphen zu Hoch- und Landesverrat, Verstoß gegen das Vereinigungsverbot, Verbreitung von Propaganda-Mitteln verfassungsfeindlicher Organe, Agententätigkeit, verfassungsfeindlicher Sabotage, Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole (z.B. des Bundespräsidenten oder der Bundeswehr), landesverräterischer Fälschung oder Ausspähung.
Noch leben, auch in Bremen, die Opfer dieser Verfolgungen. Sie sind heute sechzig bis über neunzig Jahre alt. Ihre Rehabilitierung, so der Bürgerrechtler Gössner, dulde keinen Aufschub mehr.
André Hesel
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