„Nachrichtenehrlich und zuverlässig“?

Bernd Schmitt, V-Mann in der Solinger rechtsextremen Szene, ist kein Einzelfall / Schon früher mischten V-Männer in den vordersten Reihen bei Organisationen der Neonazis mit  ■ Von Bernd Siegler

Nürnberg (taz) – „Bombe“, „Skandal“, „politischer GAU“! Die Medien überschlugen sich, als sich der Kampfsportlehrer Bernd Schmitt im Prozeß gegen die mutmaßlichen Brandstifter von Solingen als Mann des Landesamtes für Verfassungsschutz (VS) in Düsseldorf outete. „Nie zuvor war es westdeutschen Geheimdienstlern gelungen, einen V-Mann so dicht an Neonazi-Führer heranzuspielen“, intonierte der Spiegel. Die Aufregung im rechten Lager über Schmitts Enttarnung hielt sich dagegen in Grenzen. Statt über die infamen Praktiken der Schlapphüte zu jammern, versuchte man, die Geschichte für sich zu nutzen. „Wäre einem solchen Regime auch die Ermordung Unschuldiger zum Zwecke der politischen Stimmungsmache gegen die demokratische Rechte zuzutrauen?“ fragt sich besorgt Europa vorn. Immerhin ein Blatt, das der „Deutschen Liga für Volk und Heimat“ nahesteht, für die Schmitts Kampftruppe als Saalschutz tätig war. Auch die sich rechtsintellektuell gebende Junge Freiheit lamentierte nicht lange. Sie nutzte die V- Mann-Enttarnung, um den Jahrestag des Brandanschlags als „Termin des nationalen nostro maximae culpa“ zu verhöhnen.

Daß ein empörter Aufschrei im rechtsextremen Blätterwald fehlt, könnte daran liegen, daß V-Männer schon in der Vergangenheit im Neonazi-Lager mitmischten und sich dort nicht nur auf Berichte für den Dienstherren beschränkten. Ob Ende der 60er Jahre die „Europäische Befreiungsfront“, Ende der 70er Jahre die Wehrsportgruppe Hoffmann oder 1984 die „Kampfgemeinschaft Nationaler Sozialisten“ in Emden, V-Männer provozierten Gewalttaten, besorgten Waffen und Sprengstoff, waren Einpeitscher, wußten mehr, als sie weitergaben.

Als sich im September 1975 führende Neo- und Altnazis zur Gründung der illegalen NSDAP in Wiesbaden trafen, war der Verfassungsschutz dabei. Mit Werner Gottwald hatte das niedersächsische Landesamt seinen Agenten „Reiser“ als Kassenwart und Schriftführer in die Vorstandsetagen der NSDAP plaziert. Gottwald war dem VS bekannt als Generalsekretär der terroristischen „Nationalen Deutschen Freiheitsbewegung“ – auch diese Funktion hatte er mit Wissen und im Auftrag des VS eingenommen. Mindestens vier Jahre versorgte „Reiser“ seine Behörde mit detaillierten Berichten aus der Neonazi-Szene und sorgte parallel dazu mit Hilfe von Spesenabrechnungen oder Honoraren dafür, daß die NSDAP am Leben erhalten wurde.

Selbst die im November 1992 verbotene „Nationalistische Front“ (NF), auf die Schmitt angesetzt war, verdankt ihren Aufschwung Mitte der 80er Jahre den finanziellen Zuwendungen aus dem nordrhein-westfälischen Landesamt für Verfassungsschutz. Der V-Mann informierte sofort nach seiner Anwerbung NF-Chef Schönborn. Schönborn nutzte die Chance, sich für veraltete Informationen die Spesen für aufwendige Touren durch die Bundesrepublik oder sogar für die Miete des damaligen NF-Zentrums in Steinhagen aus der Kasse des VS finanzieren zu lassen. Zwanzig Monate dauerte die Zusammenarbeit, obwohl Schmitt von Anfang an klargestellt hatte, er werde keine Informationen liefern, die eine Strafverfolgung seiner Gesinnungsfreunde nach sich ziehen würden. Als der Stern den Fall an die Öffentlichkeit brachte, bezeichnete der damalige Düsseldorfer Verfassungsschutz- Chef Wilfried von Hardenberg die lange Dauer der Zusammenarbeit als unverantwortlich: „Der müßte als Quelle sofort durchs Raster fallen. Gerade bei den Rechtsextremisten, wo wir um Quellen gar nicht so verlegen sind.“

Da streiten sich die Experten. Hamburgs Verfassungsschutz- Chef Ernst Uhrlau ist sicher, daß angesichts der zersplitterten rechtsextremen Szene „die Methoden des Verfassungsschutzes nicht greifen“ könnten. Andere, wie der Leitende Kriminaldirektor im BKA, Manfred Klink, behaupten genau das Gegenteil: Man sollte „die im allgemeinen leichteren Zugangsmöglichkeiten der häufig losen Täterzusammenschlüsse“ im rechtsextremen Bereich nutzen.

Bernd Schmitt ist jedenfalls nicht durch das Raster gefallen. Am kommenden Mittwoch steht er erneut in Düsseldorf im Zeugenstand und wird sich zumindest von den Nebenklägern unangenehme Fragen gefallen lassen müssen. Die wollen Schmitts Rolle und die seines „Deutschen Hochleistungs- Kampfkunstverbands“ (DHKKV) lückenlos aufklären. Dabei sollen, sehr zum Unwillen der Bundesanwaltschaft, die beschlagnahmten Unterlagen des DHHKV in das Verfahren eingeführt werden. Die etwa 55.000 Blatt Papier ließ Schmitt kurze Zeit nach dem Anschlag aus seiner Solinger Kampfsportschule „Hak-Pao“ abtransportieren. Erst sechs Monate nach dem Brandanschlag bequemte sich die Polizei, das Material sicherzustellen. Der Fund blieb bislang unter Verschluß. Durchgesickert ist lediglich, daß sich in dem Material Lagepläne von Ausländerwohnheimen und Anleitungen zum Bau von Sprengkörpern befinden.

Hat da das „Frühwarnsystem der Demokratie“ (Nordrhein- Westfalens Innenminister Schnoor) versagt? Spätestens ab März 1992 arbeitete Schmitt als V- Mann. In seinem DHKKV sammelte er nicht nur die regionale rechtsextreme Szene um sich, sondern auch bundesweite Größen wie Otto-Ernst Remer. Die Kämpfer des DHKKV machten Saalschutz für Veranstaltungen der „Nationalistischen Front“ und der „Deutschen Liga“.

Nach Aussagen von Zeugen warb der „nachrichtenehrliche und zuverlässige“ V-Mann (O-Ton Schnoor) Solinger Jugendliche regelrecht für sein „kanakenfreies“ Freitagstraining an, in dem auch ein reger Austausch von NS-Devotionalien und Propagandamaterial stattfand.

Schmitt war in Solingen als „Ausländerhasser“ bekannt – trotzdem ist Schnoor überzeugt, sein V-Mann sei „kein Rechtsextremist“. Die Ermittlungen der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft gegen Schmitt wegen Fortführung der Aktivitäten der verbotenen NF bereiten Schnoor bereits Bauchschmerzen. Auch die Beziehung von Schmitt zu seinem Kampfkumpan Bernd Koch beinhaltet Brisanz. Koch, der in Solingen als rechtsextremer Spinner abgetan wird, hatte im März 1993 den „Arbeitskreis Deutscher Interessen“ (ADI) gegründet. Der Berliner ADI-Chef Oliver Kulik hatte zu Sprengstoffübungen unter anderem in Königs Wusterhausen geladen. Laut Berliner Staatsschützern soll Kulik sich mehrmals mit dem Wiesbadener Rechtsextremisten Peter Naumann getroffen haben, der 1988 wegen verschiedener Sprengstoffanschläge zu viereinhalb Jahren verurteilt wurde. An den Lehrgängen sollen auch Beschuldigte der Wiener Briefbombenaffäre teilgenommen haben.