Abgeschnittene Zehen letztes Mittel

■ Oldenburger Historiker-Studie: Kriegsdienstverweigerer gab es schon im alten Rom

Die alten Römer waren ein Volk von Soldaten und Kriegern, und die vorherrschenden Mittel ihrer Politik waren Krieg und Gewalt – so haben wir es in der Schule gelernt. „Süß und schön ist es, fürs Vaterland zu sterben“, dieser Horaz-Satz wurde den Römern schon im Kindesaltern eingebleut. Daß es aber trotzdem Fahnenflüchtige und Deserteure gab, hat ein Historiker an der Uni Oldenburg jetzt erforscht.

In seiner Untersuchung über „Kriegsdienstverweigerer im Römischen Reich“, kommt der Dozent Lothar Wierschowski zu dem Ergebnis, daß es in der römischen Gesellschaft durchaus eine Stimmung gegen die vom Staat geforderte kriegerische Tugend gab. Eigentlich verständlich: Denn seit der Anerkennung des Christentums als Staatsreligion konnten sich die RömerInnen auf die zehn Gebote berufen, zum Beispiel das Tötungsverbot und das Gebot, auch Feinde zu lieben.

Der römische Staat aber brauchte Soldaten: Getrieben von einem gewaltigen Expansionsdrang brachen die Römer nicht mehr nur zu kurzen Feldzügen auf, sondern planten mehrjährige Schlachten. Immer mehr Soldaten mußten immer länger kämpfen. Den Pazifisten blieb eigentlich nur die Wahl zwischen Kriegsdienst oder die wenig ehrenvolle Todesstrafe durch Verbrennung.

Die jungen Römer mußten sich schon ein wenig mehr als Gewissenskonflikte einfallen lassen, um dem Dienst an der Waffe zu entkommen. Einige flüchteten und gaben sich in der neuen Stadt als Sklaven aus. Das war riskant, denn besonders gewissenlose Zeitgenossen nutzten die Vortäuschung aus, um die jungen Männer dann wirklich zu versklaven. Andere verstümmelten sich selbst. Wierschowski weiß von abgeschnittenen Daumen oder Zehen.

Der römische Staat reagierte unterschiedlich auf die Selbstverstümmelungen: Anfangs versuchte er noch, die Männer zu anderen Diensten heranzuziehen, immer häufiger aber drohte die Todesstrafe. Als immer mehr Männer sich selbst verstümmelten, zog man sie trotz ihrer Behinderungen ein. Mit dem Ergebnis, daß sie auf dem Schlachtfeld schnell besiegt wurden.

Die Kriegsdienstverweigerer wurden dabei nicht in erster Linie von ihrem Gewissen getrieben, sagt der Oldenburger Historiker, vielmehr hätten die schnelle Abfolge der Gesetze und die damit verbundenen Konzeptionswechsel ein verbreitetes Ohnmachtsgefühl gegenüber der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung bei den RömerInnen erzeugt. Vielmehr sind nach Wierschowskis Forschungen die Sinn- und Perspektivlosigkeit, immer öfter gegen überlegene Gegner antreten zu müssen, die Grausamkeit kriegerischer Handlungen, Demoralisierung und Einsicht in die Sinnlosigkeit des Sterbens die nachweislichen Gründe, den Dienst an der Waffe zu verweigern.

ty