■ Was General Schultze-Rhonhof nicht ahnen konnte
: Sind Richter Mörder?

Der Volksgerichtshof war ein ordentliches deutsches Gericht. Seine Richter waren auch nach damals geltendem Gesetz unabhängig, gleichberechtigt und ihrem Gewissen verantwortlich. Damals Gesetz waren das Blutschutzgesetz zur Verfolgung der Rassenschande, die Rundfunkverordnung zur Verfolgung der Hörer von Radio London, das Gewohnheitsverbrechergesetz, das anlagebedingte Tätertypen ausrottete, und die Kriegssonderstrafrechtsverordnung, die dafür sorgte, daß das Erzählen von Hitlerwitzen den Kopf kostete. Was damals Recht war, kann nachträglich nicht Unrecht heißen. Welcher Bundeswehrgeneral hat diesen himmelschreienden Blödsinn wieder verzapft? Keiner! Dergleichen bringt nur ein seinerseits ordentliches deutsches Gericht zustande, der Fünfte Senat des Bundesgerichtshofs in seinem Urteil vom 30. April 1968. Es führte zum Freispruch des Volksrichters Joachim Rehse, eines justitiellen Kopfjägers, der auf Führerbefehl 200 Unschuldige aufs Schafott gebracht hatte.

In ständiger Rechtsprechung hat der BGH den absurdesten Nazi-Justizarten nachträglich das Gütesiegel formkorrekter Gerichtsbarkeit spendiert. Höhepunkt ist der Freispruch des SS-Richters, Sturmbannführer Dr. Otto Thorbeck. Er hatte im Standgerichtsverfahren Pastor Dietrich Bonhoeffer, Admiral Canaris und General Oster wegen Widerstandshandlungen zum Tode verurteilt. Gerichtsort war das KZ Flossenbürg, richterlicher Beisitzer war der KZ-Kommandant. Laut Urteil des Ersten BGH-Strafsenats vom 25.5.56 ein „einwandfreies Verfahren“.

Lassen wir dem BGH seine Meinung. Ihm war die Erbschaft von 40.000 zivilen und militärischen Todesurteilen des Dritten Reiches übertragen. Dazu mußte er die passenden Mörder und Totschläger suchen. Er hat keinen einzigen gefunden. Die Überzahl der Justizterroristen saß in den bundesdeutschen Amts-, Landes- und Bundesgerichten verborgen und vertraute auf kollegiale Fluchthilfe. Der Justizmord ist das perfekte Verbrechen, denn es geschieht durch den Arm des Gesetzes selbst. Das klappt nur bei entsprechender Auslegung, vorher und nachher. Vorher hat es der Volksgerichtshof besorgt, nachher der BGH, zwei ordentliche deutsche Gerichte. Dies ist allerdings nur die Eigendefinition des BGH. Der Deutsche Bundestag hat per Beschluß sämtlicher Parteien vom Januar 1985 den Volksgerichtshof als „ein Terrorinstrument“ bezeichnet, „zur Durchsetzung der nationalsozialistischen Willkürherrschaft“. Richtig! Und identisch mit dem Volksgerichtshof verfuhren Hunderte von Sondergerichten, Rassenschandekammern, Militärgerichten, Standgerichten.

Sind Richter Mörder? Absolut nicht. Aber es gab Hunderte von Mördern in Deutschland, die waren Richter und sind es dank BGH geblieben. Absurd, aber Tatsache. Gottlob ahnt General Schultze-Rhonhof nicht, wie die wahrlich absurde Verbindung von Volksgerichtshof und einem Bundesgericht dessen eigener Rechtslehre entspringt.

Es ist das historische Stigma des Bundesgerichtes, daß es zwischen Richtern und Mördern nicht zu unterscheiden wußte. Der BGH selbst hat die Grenzen verwischt, die Tatspuren vertuscht. Die Freiheit, die er sich genommen hat, konnte man dem „Soldaten, ihr Mörder“-Rufer nicht verwehren. Der sieht auch keine Unterschiede. Wurde Auschwitz vor 50 Jahren von Mördern befreit? Die Häftlinge wurden von den Mördern befreit, und dies geht oft nur durch Soldaten. Und daß auch deutsche Soldaten nicht nur als Mörder kommen müssen, sondern als Befreier einziehen sollen, das könnten wir auch noch begreifen. Jörg Friedrich

Autor von „Freispruch für die Nazi-Justiz, Die Urteile gegen

NS-Richter seit 1948, eine Dokumentation“ (1983);

„Die Kalte Amnestie. NS-Täter in der Bundesrepublik“ (1994)