Foltern erlaubt, fragen verboten

■ Wer in der Türkei Beweise für Menschenrechtsverletzungen sammelt, fliegt raus

Berlin (taz) – Wer in der Türkei zum Thema Menschenrechtsverletzungen recherchiert, wird abgeschoben. Wer Beweise dafür sammelt, daß Menschen, die zuvor aus Deutschland abgeschoben wurden, in der Türkei gefoltert wurden, kommt auf eine schwarze Liste. Diese Erfahrung machte Helmut Oberdiek, Mitarbeiter von amnesty international (ai) und taz-Autor. Er war am 26. Mai in die Türkei gereist, um Folteropfer zu befragen. Die Grenzpolizsten auf dem Istanbuler Flughafen drückten ihm kommentarlos einen Einreisestempel in den Paß. Elf Tage später wurde er im südostanatolischen Adana verhaftet. Begründung: Er sei illegal in die Türkei eingereist und werde gesucht.

Seit gestern ist Oberdiek wieder in Deutschland – aus der Türkei abgeschoben und dort zur Persona non grata erklärt. In den Tagen davor wurde er „um einige Erfahrungen reicher, die sonst die Leute machen, über die ich berichte“.

Nach Aufenthalten in Istanbul und Ankara war Oberdiek nach Adana gereist. An seinem dritten Abend wurde er aus seinem Hotelzimmer gerufen, angeblich weil der Hotelchef mit ihm sprechen wollte. An der Rezeption empfingen ihn Polizisten, die ihn aufforderten, sein Gepäck zu nehmen und mitzukommen. Erst nachdem er stundenlang verhört und sein Gepäck gründlichst durchsucht worden war, erfuhr Oberdiek, daß er sich bei der Touristenpolizei befand. Die Bitte, einen Anwalt einschalten zu dürfen, lehnten die Polizisten ab. Auf eindringliche Nachfragen erfuhr Oberdiek, daß das türkische Innenministerium ein Einreiseverbot gegen ihn verhängt habe. „Ich habe nichts Schriftliches gesehen und auch sonst keine Begründung bekommen“, berichtet Oberdiek. Er vermutet jedoch, daß er die Maßnahme seinem jahrelangen Engagement in Sachen Türkei zu verdanken hat.

Nach einer Nacht auf der Polizeistation mit „drei Stunden Schlaf auf einem leichtgepolsterten Stuhl“ wurde er dem dem „Amt für die Bekämpfung des Terrorismus“ überstellt – der politischen Polizei. Dort interessierte man sich für seine Unterlagen. In den zurückliegenden Tagen hatte er Beweismaterial dafür gesammelt, daß in türkischen Gefängnissen systematisch gefoltert wird. Die türkischen Polizisten durchforsteten und fotokopierten von Ärzten ausgestellte Atteste, Mitschriften von Zeugenaussagen, Adressenlisten und Telefonnummern. Dabei machten sie keinen Hehl daraus, was sie von dem Material hielten. Die Polizisten hätten behauptet, er habe „einseitig recherchiert“, Folteropfer, Ärzte und Zeugen hätten „gelogen“. Oberdiek fürchtet, daß türkische Polizisten Leute, die mit ihm gesprochen haben, „aufsuchen und mißhandeln“.

Aus dem Auswärtigen Amt in Bonn hieß es gestern zu dem Vorfall, das deutsche Generalkonsulat in Istanbul sei aufgefordert worden, über die näheren Umstände der Festnahme zu berichten. Die Bundestagsabgeordneten von Bündnis 90/ Die Grünen, Amke Dietert-Scheuer und Angelika Beer, warfen der Türkei vor, sie versuche systematisch, unabhängige Untersuchungen über Menschenrechtsverletzungen zu behindern. Von der Bundesregierung verlangten sie eine Verlängerung des Abschiebestopps für Kurden in die Türkei. Thomas Dreger Seite 9