Der Journalist Mumia Abu-Jamal soll wegen Mordes an dem weißen Polizisten Daniel Faulkner am 17. August hingerichtet werden. Er bestreitet die Tat. Kaum ein Todeskandidat in den USA hat in den letzten Jahren so viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Seine Anwälte sind zuversichtlich, einen Hinrichtungsaufschub erwirken zu können Aus Washington Andrea Böhm

Amerikanisches Roulette

Es gab in der Vergangenheit vermutlich kaum Gelegenheit für die Gemeinde der Bruderhof-Hutterer, eine Koalition mit Whoopi Goldberg, Claude Lanzmann und der IG Medien Berlin-Brandenburg einzugehen. Was alle vier Genannten derzeit vereint, ist das Engagement für Mumia Abu-Jamal, einen Journalisten, Autoren, Politaktivisten und – wie die Justizbehörden des US-Bundesstaates Pennsylvania behaupten – Polizistenmörder.

Für den Mord an dem 25jährigen Polizisten Daniel Faulkner wurde Abu-Jamal 1982 zum Tode verurteilt. Seitdem ist er im Todestrakt von Pennsylvania inhaftiert. Noch haben seine Anwälte längst nicht alle Berufungs-und Revisionsinstanzen ausgeschöpft. Trotzdem unterzeichnete Pennsylvanias Gouverneur Tom Ridge Anfang Juni einen Hinrichtungsbefehl – datiert für den 17. August. Nicht nur im Ausland, auch in den USA regt sich weit mehr Widerstand als bei anderen Todeskandidaten. Eine Gruppe von Hollywood-Schauspielern, darunter Whoopi Goldberg, setzt sich für Mumia Abu-Jamal ein. Bürgerrechtsorganisationen und amnesty international kümmern sich um seinen Fall – und eben die Hutterer, jene streng religiösen Nachfahren deutscher Einwanderer, die in isolierten Gemeinden in Pennsylvania und New York leben. In ihrer Zeitung Der Pflug werden Mumia Abu-Jamals Kommentare abgedruckt, auf Versammlungen lesen Kinder aus seinem Buch „Live from Death Row“.

Der „Fall“ Mumia Abu-Jamal begann in den Morgenstunden des 9. Dezember 1981 in Philadelphia. Es gibt zwei Fakten, die von keiner Seite bestritten werden: In dieser Nacht stoppte der weiße Polizist Daniel Faulkner den schwarzen Taxifahrer William Cook, Abu-Jamals Bruder, weil der in einer Einbahnstraße in die falsche Richtung fuhr. Kurze Zeit später lag Faulkner, mit mehreren Kugeln in Bauch und Kopf, tot auf der Straße. Wenige Meter entfernt saß Mumia Abu-Jamal blutend auf dem Bürgersteig. Eine Kugel aus Faulkners Dienstwaffe steckte in seinem Bauch. Abu-Jamals Revolver wurde ebenfalls gefunden. Es fehlten einige Patronen.

Was zwischen Faulkners Ahndung eines Verstoßes gegen die Straßenverkehrsordnung und dem Eintreffen der Polizei am Tatort einer Schießerei passiert ist, darüber gehen die Versionen weit auseinander. Nach Darstellung der Staatsanwaltschaft und mehrerer Belastungszeugen war Abu-Jamal, der zu dieser Zeit selbst Taxi fuhr, aus dem Auto gesprungen, um seinem Bruder beizustehen und hatte Faulkner in einem Schußwechsel ermordet. Bei der Ankunft im Krankenhaus soll Mumia Abu-Jamal gerufen haben: „Ich hab' auf den Scheißkerl geschossen. Ich hoffe, er stirbt.“

Nach Darstellung der Verteidigung hat Abu-Jamal Daniel Faulkner nicht getötet. Sie weist auf Zeugen hin, die einen dritten Mann vom Tatort haben fliehen sehen und die im Prozeß nie gehört worden waren. Sie weist auf einen Polizeibeamten hin, der Abu-Jamal ins Krankenhaus eskortiert hatte und später zu Protokoll gab, daß der Verletzte während der ganzen Zeit kein Wort gesagt habe. Der Polizist wurde ebenfalls nicht als Zeuge geladen, weil er sich zum Prozeßtermin „in Urlaub“ befand. Es gibt darüber hinaus keine ballistischen Untersuchungen, die beweisen, daß die Kugeln in Faulkners Körper aus der Waffe Abu- Jamals stammen.

Eine Jury sprach Abu-Jamal im Juli 1982 des vorsätzlichen Mordes schuldig und verurteilte ihn im zweiten Abschnitt des Prozesses, in dem über Strafzumessung entschieden wird, zum Tode. Die Staatsanwaltschaft hatte den Eindruck erweckt, bei dem Angeklagten handele es sich um einen fanatischen Polizistenmörder, der schon als 15jähriger die Black Panthers unterstützte.

Es ist zwar müßig, darüber zu spekulieren, doch vermutlich wäre Mumia Abu-Jamal auch dann zum Tode verurteilt worden, wenn er in seinem ganzen Leben keine politische Äußerung getan hätte. Ist der Angeklagte ein Schwarzer und das Opfer ein weißer Polizist, steigen die Chancen um ein Vielfaches, im „amerikanischen Roulette“, wie die Todesstrafe von Strafverteidigern aufgrund ihrer Willkür genannt wird, zu den Verlierern zu zählen. Vor allem in Philadelphia. Die „Stadt der brüderlichen Liebe“, wie sie in Tourismusprospekten gerne genannt wird, zählt neben Chicago zu einer der Hochburgen der Todesstrafe in den USA. Nirgendwo sonst ist die Staatsanwaltschaft erpichter, die Todesstrafe durchzusetzen.

Ein Berufungsrichter schrieb 1992 im Revisionsurteil für einen zum Tode Verurteilten, daß „Fehlverhalten des Staatsanwaltschaft im Bezirk Philadelphia im Gegensatz zu anderen Bezirken immer häufiger anzutreffen ist.“

Die Bezirksstaatsanwältin von Philadelphia, die „Demokratin“ Lynn Abraham, ficht das nicht an. „Ich habe mir alle Todesurteile durchgesehen. Kein Mensch vergießt für diese Leute eine Träne. Die verdienen es nicht, am Leben zu bleiben.“

Vorerst setzen Abu-Jamals Anwälte alles daran, ihn am Leben zu erhalten. Ein Antrag auf Hinrichtungsaufschub wurde letzte Woche von Richter Sabo nicht entschieden mit der Begründung, er wolle erst neues Beweismaterial von den Verteidigern sehen, das einen Aufschub rechtfertigen würde. Diese Verschleppungstaktik kann Abu- Jamal in lebensbedrohliche Zeitnot bringen. Doch Steve Hawkins, einer seiner Anwälte, ist überzeugt, daß ein Aufschub notfalls über ein Bundesgericht erzwungen werden kann. Die Tortur für seinen Mandanten ist damit noch lange nicht zu Ende. Doch in gewisser Hinsicht muß sich Mumia Abu-Jamal sogar glücklich schätzen: Er hat ein Juristenteam an seiner Seite, das nichts unversucht lassen wird, seine Hinrichtung zu verhindern. Für die große Mehrheit der über 3.000 zum Tode Verurteilten in den USA gilt das nicht.