: Pazifistischer Selbstbetrug
■ betr.: „Der Drang zu helfen ist eine Art Selbstbetrug“, taz vom 25. 7. 95
1. Pazifismus funktioniert nur in einem zivilisatorischen Umfeld. Mahatma Gandhi konnte eine demokratische englische Regierung beugen, von Faschisten wie Mladic oder Karadžić gäbe es für ihn schlichtweg die Kugel in den Kopf.
2. Jeder pazifistischen Praxis muß die Pazifizierung und Demokratisierung vorausgegangen sein. Nur unter ganz begrenzten, bisher ausschließlich westlich-demokratischen Rahmenbedingungen ist Pazifismus überhaupt möglich.
3. Der Fall von Srebrenica und Žepa läßt sich als Probe aufs Exempel pazifistischer Lösungsstrategien betrachten. À la pacifiste wurde die Bevölkerung dort entwaffnet und von der Weltgemeinschaft „geschützt“, mit den Serben wurde verhandelt, Artillerieschläge blieben militärisch ungeahndet. Resultat: Srebrenica ist heute entvölkert, Žepa brennt, Tausende sind vertrieben, vergewaltigt, ermordet.
4. Es gibt keinen westlichen oder bundesdeutschen Masterplan, um eine zusammenphantasierte Hegemonialsphäre von Bottrop über Bosnien bis nach Basra zu schaffen. Das Unglück der Bosnier ist es, daß eben keine westlichen Interessen – Erdöl, Diamanten, Kupfer etc. – auf dem Balkan bedroht sind. Andernfalls wäre der Krieg längst beendet. Hegemoniale Absichten brauchen heutzutage keine Landbrücken – weder im Balkan noch anderswo. In Bosnien geht es nicht um die Dardanellen. Insofern wird jede Parallele zu 1914 vom pazifistischen Diskurs aus innenpolitischen Absichten erzeugt, zu Verdummungszwecken. [...]
5. Unter den Bedingungen des Kalten Krieges konnte die prekäre Allianz von Humanismus und Pazifismus funktionieren. Heute muß man sich entscheiden. Entweder „Nie wieder Krieg!“ oder „Nie wieder Faschismus!“ Beides zusammen ist auf absehbare Zeit nicht zu haben. Klaus Jarchow, Bremen
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