: Wahlen ohne Wahlboykott
In Guatemala gibt es ausnahmsweise normale Wahlen, aber eine normale Demokratie ist das Land deshalb noch lange nicht ■ Aus Guatemala-Stadt Ralf Leonhard
Auf dem Hauptplatz vor dem Nationalpalast lagern seit Tagen ein paar Dutzend landlose Bauern, die Ackerland fordern. Mehr als 200 landwirtschaftliche Betriebe sind besetzt oder werden bestreikt, weil die Besitzer nicht einmal die Hälfte des gesetzlichen Mindestlohns von zweieinhalb Dollar täglich zahlen. Doch Guatemalas ungerechte Landverteilung ist vor den morgigen Parlaments-, Präsidentschafts- und Kommunalwahlen genausowenig ein Thema wie die stockenden Friedensverhandlungen mit der Guerillafront URNG. Zentrales Wahlkampfthema ist die ausufernde Gewaltkriminalität.
Die von der Armee organisierten Zivilverteidigungspatrouillen, die in den meisten indianischen Gemeinden der inneren Überwachung dienen, sorgen für ein permanentes Klima der Einschüchterung. Täglich werden im Durchschnitt drei Menschen verschleppt. Zuletzt war es ein noch nicht zweijähriger Neffe der Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchu. Von den 3,7 Millionen eingeschriebenen WählerInnen wird über die Hälfte voraussichtlich keine Stimme abgeben.
Der scheidende Präsident Ramiro de León Carpio, der im Juni 1993 nach dem institutionellen Putsch des damaligen Staatschefs Jorge Serrano Elias mit großem Konsens vom Kongreß gewählt worden war, hat als Staatschef eine wenig glückliche Figur gemacht. Die Menschenrechtsverletzungen haben unter seiner Regierung zugenommen. Sein einziger nennenswerter Erfolg ist es, den Dialog mit der bewaffneten Opposition unter UN-Vermittlung so weit voranzutreiben, daß an eine Umkehr nicht mehr zu denken ist. Sein Plan, den Frieden noch vor dem Regierungswechsel am 14. Januar zu unterzeichnen, ist aber nicht aufgegangen – nicht zuletzt, weil die Guerilla lieber einen starken Präsidenten als Partner hat.
Der künftige Präsident wird ein stärkeres Mandat haben als alle seine Vorgänger in den letzten vierzig Jahren. Denn erstmals seit 1954 beteiligt sich an diesen Wahlen das ganze politische Spektrum.
Linker Hoffnungsträger ist der 66jährige Wirtschaftsprofessor und ehemalige Zentralbankchef Jorge Gonzalez del Valle, Kompromißkandidat der erst vor drei Monaten als Zusammenschluß von Volksorganisationen gegründeten „Demokratischen Front Neues Guatemala“ (FDNG), die die Intellektuellen und den städtischen Mittelstand ansprechen soll. Für den Posten des Vizepräsidenten stellt die FDNG den 40jährigen Maya-Quiche Juan León Alvarado auf, ein Gründungsmitglied der indianischen Bauernorganisation CUC, die durch die Repression der Armee jahrelang in den Untergrund gedrängt war. Für das Parlament wurde unter anderen Nineth Montenegro aufgestellt, Chefin der Gruppe für die Aufklärung des Schicksals von Verschwundenen.
Doch ein diszipliniertes Votum von Gewerkschaften und Basisorganisationen für die FDNG ist nicht zu erwarten; auch die indianischen Gemeinden sind gespalten. Viele halten es mit der Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchu, die zur FDNG deutlich auf Distanz gegangen ist und signalisiert hat, daß ihr ein Sieg der Nationalen Aktionspartei (PAN) nicht unrecht wäre. Realisten würden den Einzug von zwei FDNG-Abgeordneten in den neuen Kongreß bereits als Erfolg feiern.
Spitzenreiter in allen Umfragen ist Alvaro Arzu von der PAN, der den Segen von Präsident Ramiro de León Carpio und des modernen Flügels der Armee hat. Er verspricht Kontinuität gegen die rechtsextreme „Republikanische Front Guatemalas“ (FRG) unter Ex-Diktator Efrain Rios Montt. Der darf jedoch nicht selber antreten, weil die Verfassung ehemalige Diktatoren von der Präsidentschaft ausschließt.
Die Christdemokraten, die vor zehn Jahren mit Vinicio Cerezo den ersten zivilen Präsidenten nach langer Militärherrschaft stellten, sind durch zahllose Korruptionsaffären zu einer fast bedeutungslosen Kraft geschrumpft. Nachdem der Versuch, mit der Guerillafront URNG und anderen Linken eine Koalition zu schmieden, fehlschlug, schlossen sie sich mit den alten Rivalen der Zentrumsunion (UCN) und den Sozialdemokraten (PSD) zur „Alianza Nacional“ zusammen. Ihr Kandidat ist Fernando Andrade, der als Außenminister der letzten Militärregierung erfolgreich das Image des Landes gepflegt hat.
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