: Wie zwischen Kafka und Kishon
■ Ein Nachbar des Wannseeheims für Jugendarbeit fühlt sich in seiner Ruhe gestört
Das Haus des Wannseeforums ist ein wahres Prachstück in einer der besseren Lagen von Berlin. Der zur Jahrhundertwende errichtete Klinkersteinbau mit Blick auf den Pohlesee ist umgeben von anderen schönen Villen mit Jägerzäunen und bissigen Hunden. In dieser Gegend müßte selbst den Deutschen Demokratie gefallen, hatte sich das amerikanische Hochkommissariat gedacht, als es 1951 im Rahmen der „Re-education“ das Wannseeheim für Jugendarbeit stiftete. Seitdem werden hier Jugendliche und Pädagogen kulturell und politisch weitergebildet und der internationale Jugendaustausch gepflegt.
Der Streit begann, als Herr K., ein Versicherungskaufmann, in ein benachbartes Mehrfamilienhauses einzog. Der Mittdreißiger möchte eventuell die Wohnung kaufen und daher auf jeden Fall Ruhe um sich herum. „Unser erster Kontakt mit Herrn K. war eher erheiternd“, berichtet Moritz von Engelhardt, „er beschwerte sich über die Musik, die gespielt wurde, während er auf seiner Terrasse ein geschäftliches Telefonat führen wollte. Herr K. fand das störend, weil sein Gesprächspartner glauben müßte, er sitze in einer türkischen Kneipe.“ Um den Nachbarn weiter zu beruhigen, haben sie den Jugendlichen schon zahlreiche Restriktionen auferlegt. So darf in dem Gebäudeflügel, der auf das nachbarliche Grundstück weist, keine Musik mehr gehört werden, die Fenster lassen sich wegen angebrachter Verriegelungen nur noch kippen. „Wir kommen uns schon vor wie eine Justizvollzugsanstalt“, kommentiert Moritz von Engelhardt diesen Zustand.
Aber die getroffenen Maßnahmen reichen dem Nachbarn nicht aus. Mindestens 80mal hat er die Polizei wegen Ruhestörung alarmiert – obwohl drüben Ruhezeiten herrschte. Inzwischen weiß man dort nicht mehr, ob er sich in einem Roman von Kafka oder einer Posse von Kishon wähnen soll.
Die Chancen für eine außergerichtliche Einigung oder einen Vergleich sahen von Anfang an schlecht aus, meint Engelhardt: „Wir hatten ihn zu Gesprächen eingeladen, aber die hat er abgelehnt. Als Jugendliche mit Blumen zu ihm gegangen sind, hat er ihnen die Tür vor der Nase zugeschlagen.“ Das Umweltamt wurde eingeschaltet, um den Lärmpegel zu messen, konnte aber nichts Außergewöhnliches feststellen. Auch die anderen AnwohnerInnen können Herrn K. in seinen Beschwerden nicht folgen. Bei einem ersten Gerichtstermin hatte das Landgericht die Errichtung einer Lärmschutzwand empfohlen. Doch die Entscheidung konnte nicht tragen; die Eigentümer stimmten ihr nicht zu, und dem Landeskonservator wäre sie auch nicht recht gewesen.
Also wird in zwei Wochen vor Gericht weitergestritten. Herr K. verlangt jetzt, daß in dem Trakt überhaupt keine Jugendlichen mehr untergebracht werden dürfen.
Für das Wannseeheim wäre ein Verzicht auf die Nutzung der finanzielle Ruin, da seine Fördergelder von der Anzahl der untergebrachten Jugendlichen abhängen. Thekla Dannenberg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen