: Am Ende des Lebens steh ich doof da
■ David, 15, hat null Bock, daß Mutter seinen Weg bestimmt
Ich muß ja nicht leben wie alle.
Ich bin ja ich. Und nicht du.
Bin nicht alle und nicht ...
Das letzte Mal zu Hause war ich am 30.12. voriges Jahr. Da hab ick meine Papiere geholt. Weil, ich hab mit meiner Mutter gesprochen, weil ich echt kein Bock mehr darauf habe, daß die irgendwie meinen Weg bestimmt, meinen Laufweg durchs weitere Leben, die drei Jahre, bis ich achtzehn bin, daß ich mein eigenes Sagen habe. Da hab ich gesagt, daß das Jugendamt, was ja leider noch Dresden ist, das Sorgerecht für mich haben soll, nich meine Mutter. Ich will das nicht. Weil, sie kann verbieten, daß ich da weiter arbeite. Sie kann mir verbieten, in der WG zu bleiben. Sie kann mir alles verbieten. Sie kann mir verbieten, in die Schule zu gehn. Dann steh ich am Ende des Lebens doof da. Und sie kann Fahndungen, Fahndungen, Fahndungen rausbringen. Aber das macht se jetzt nicht mehr, weil se merkt, daß det nur Geld frißt.
Ich wollt die Welt kennenlern, irgendwie, früher schon. Ich will nicht erst warten, bis ich alt und grau bin, und dann losziehn. Die Welt ist groß. Kann man nicht alles sehen. Das erste Mal bin ick mit elf abgehaun, war jut, keiner hat mir gesagt irgendwie, was ich machen sollte und so, und ich meine, ick weiß nich mehr, was damals irgendwie war. Das ist lange her. Denn war ich sogar öfter am Zoo. Ha. Da geht die Szene ab, ey... Stricher, Freier, Drogenabhängige, Dealer, Schmuggler, aber von Schuh bis Kopf.
Geschwister? Drei Stück. Normalerweise vier. Zwei Tage nach der Geburt gestorben. Interessiert mich gar nicht. Ist mir so schnuppe. Kann ich gar nicht globen. Hat mir meine Mutter erzählt. An und für sich glob ich ihr ja. Also paar Dinger schon. Aber nur ein paar.
Lieber verhungern als armselige Leute ausrauben... Na guck mal, also meine Akte, wenn se das rauskriegen, wächst die doch, irgendwann könn se die net mehr tragen, und dann falln se von der Treppe, und det will ich nich.
Irgendwann bin ich nach Friedrichshain, die Adresse hab ich auch noch, da wohnt ne ältere Frau so um 40 rum, die kann Tarot lesen, also Karten lesen, und die hat mir gesagt, daß ich det überstehe und so und daß ich ein guter Kerl bin und daß ich nichts Böses im Schilde führe, und bei ihr hab ich auch monatelang gewohnt. Bei Susi. Und den einen Hund, den hat se mir dann geschenkt, als se weggefahrn ist.
Damals war ich ja wirklich noch ein Schmuddelpunk, hatte noch mein Iro, meinen schönen, den hab ich ja gepflegt. Schöne Jacke an, mit Peacezeichen und alles so hintendrauf. Damals war ich ja wirklich noch voller Kindskopf. Ich hab dann auch nicht rumgegammelt. Hab noch Einbrüche gemacht, weil ich halt nicht mehr an Fressalien rangekommen bin. Hab mir so mein Geld verdient, Essen geholt. Warn schlechte Zeiten.
Suchen tut mich keiner. Der einzige, der mich wirklich suchen könnte, det wär mein richtiger Vater, und det wär ja nun gar nicht so wild, des wär nämlich eher schön, denn lern ick den wenigstens mal kenn'. Mir ham se schon Koka angeboten, mir ham se Speed angeboten, mir ham se Pillen und Micros, alles angeboten. Mir ham se ne Spritze angeboten. Ich hab den Leuten gesagt: Hey Alter, verpiß dich mit dem Zeug, hab ich gesagt, ick hab ja noch paar Jahre vor mir.
Der Hund, der, tja, wenn ich das wüßte, ich weiß, daß er noch lebt, das spür ick, aber ich weiß nicht, wer ihn mir jeklaut hat. Det is es.
Das ist hart, das stimmt, aber ich bin das gewöhnt.
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