Aktionen der Klima-Bewegung: Widerstand im Tagebau

AktivistInnen besetzten den Tagebau Garzweiler im Rheinland. Was machen Aktionen mit der Bewegung?

Aktivisten des „Klimacamps im Rheinland“ auf dem Weg zur Aktion Anfang August. Bild: ausgeCO2hlt

DEUTSCHLAND zeo2 | Anne* nestelt am Reißverschluss ihres Maleranzugs herum. Er klemmt. „Kohleausstieg ist Handarbeit“ hat jemand auf den dünnen weißen Stoff gesprüht. Bei Betrachtung der Qualität des Anzugs liegt der Gedanke nicht fern, dass nicht nur der Kohleausstieg Handarbeit sein sollte. Mit einem Ruck löst sich der Reißverschluss.

Anne schaut sich um. Um sie herum haben viele Menschen diese Anzüge an. Sie stehen, teils gut gelaunt, teils sichtlich nervös, versteckt hinter einer Kirche im kleinen Dorf Borschemich im Rheinland. Dabei ist es eigentlich gar nicht nötig, sich in Borschemich zu verstecken, hier wohnt ohnehin kaum noch ein Mensch.

Nur die vom Energiekonzern RWE angeheuerten Sicherheitsleute kurven in ihren Geländewägen durch den abgestorbenen Ort, vorbei an zugenagelten Fenstern und überwucherten Vorgärten. Das Dorf soll bald zerstört werden, um dem Braunkohle-Tagebau Garzweiler II Platz zu machen, der von RWE betrieben wird.

Die „vierte internationale Degrowth-Konferenz für ökologische Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit“ findet 2. bis 6. September in Leipzig statt. Mehr Informationen unter www.degrowth.de.

In der Geschichte der Bundesrepublik wurden über 100.000 Menschen für den Braunkohle-Abbau zwangsumgesiedelt. Aktuell sind 15.000 weitere davon bedroht. Viele gehen freiwillig, zum einen, weil sie Abfindungen bekommen, zum anderen, weil sie wissen, dass das deutsche Bergrecht Ihnen keine Wahl lässt.

Der Tagebau Garzweiler liegt im nördlichen Rheinischen Braunkohlerevier. Bild: ausgeCO2hlt

Anne und die anderen Braunkohle-AktivistInnen sind losgelaufen. Ihr Ziel ist es, „zentrale Infrastruktur von RWE“ zu blockieren. Wenn sie nicht mit 200 Gleichgesinnten in Maleranzügen durch Felder im Rheinland läuft, widmet sich Anne der Wissenschaft.

Sie hat in Geschichte promoviert, forscht an einem Lehrstuhl und ist derzeit in die Organisation einer Konferenz vertieft, die Degrowth-Konferenz. Auf der Konferenz werden Anfang September rund 2500 WissenschaftlerInnen, AktivistInnen und PionierInnen einer alternativen Ökonomie zusammenkommen, um darüber zu diskutieren, wie eine Wirtschaft ohne Wachstum aussehen kann.

Für Anne hängt ihr Engagement gegen Braunkohle eng mit dem Thema einer anderen Wirtschaft zusammen: „Die Idee von Degrowth, also von einer Wirtschaft, in der Mensch und Natur im Mittelpunkt stehen und nicht der Profit, die hat für mich ein großes Potential.

Aber das wird sich nur entfalten, wenn wir auch Widerstand leisten. Es gibt in der Degrowth-Szene viele Leute, die ihre Hoffnung in kleine Projekte stecken und die sind ja auch wichtig, aber mal ehrlich: So ein Braunkohlebagger macht einen Gemeinschaftsgarten in Nullkommanix platt. Und wenn auch nur ein Teil der hier vorhandenen Kohle wirklich verbrannt wird, macht uns der Klimawandel eh den Garaus.“

Dort lagern 1,3 Milliarden Tonnen Braunkohle, die bis 2045 abgebaut werden sollen, schreibt der Betreiber RWE... Bild: ausgeCO2hlt

Die Verstromung von Braunkohle machte 2013 etwa ein Viertel des deutschen Strommixes aus. Gleichzeitig war sie aber für ca. die Hälfte der CO2-Emissionen der Stromproduktion verantwortlich, so Berechnungen des Freiburger Öko-Instituts. Braunkohle ist der größte Klimakiller im deutschen Strommix und doch werden die Tagebaue ausgeweitet.

Die AktivistInnen sind am Rand des Tagebaus angekommen. Vor ihnen ragt ein riesiger Schaufelbagger aus der Grube. Die Bagger sind Tag und Nacht in Betrieb, doch dieser ist abgeschaltet, er wird gerade gewartet. Eine große Gruppe der aktivistischen Maltruppe bleibt oben am Grubenrand sitzen, damit der Bagger hier nicht weiterarbeiten kann. Anne macht sich mit zwei Dutzend Leuten auf die Suche nach einem Weg in das Grubental. Sie wollen den Bagger selbst besetzen. Sie finden eine Straße, die in die wüstenartige Landschaft hinabführt und laufen auf das Ungetüm zu.

Von oben sieht es aus wie 25 weißgekleidete Ameisen, die sich vor einem Relikt aus einem Star Wars-Film aufstellen. Anne und neun weitere Ameisen klettern auf den Bagger, die erste Besetzung dieser Art in Deutschland. Sie bleiben dort sechs Stunden, bis die Polizei eine Rampe aus Erde bauen lässt, um die AktivistInnen halbwegs sicher vom Bagger wegtragen zu können. Nach der Räumung nimmt das Schaufelrad wieder den Betrieb auf.

2015 wird ein wichtiges Jahr für den Klimaschutz. Die G7, die sieben reichsten Staaten der Welt, haben sich das Thema für ihr Treffen in Bayern auf die Fahnen geschrieben. Im Winter wird in Paris der nächste Versuch unternommen, ein wirksames Abkommen auf Ebene der Vereinten Nationen zu finden.

... doch die Aktivisten möchten das verhindern. Bild: ausgeCO2hlt

Die Klima-AktivistInnen, die zu großen Teilen nicht davon ausgehen, dass die Vereinten Nationen oder gar die G7 mit sozial-ökologischen Lösungen aufwarten werden, haben mit der Blockade der Tagebaue ein interessantes Instrument entwickelt: Braunkohle-Aktionen produzieren starke Bilder, bringen die soziale und die ökologische Frage zusammen auf den Punkt und sind massenhaft durchführbar.

Auf der Degrowth-Konferenz werden neben wissenschaftlichen Diskussionen, künstlerischen Performances und praktischen Workshops auch solche strategischen Fragen behandelt. Vielleicht wird die Konferenz ein weiterer kleiner Schritt dazu, dass die Klima-Bewegung bald den Erfolg der Anti-Atom-Bewegung nachmacht.

* Name geändert

Der Autor Per Rohstich hat Politikwissenschaft und Philosophie studiert und ist Mitglied in der Organisationsgruppe der Degrowth-Konferenz 2014. Den Artikel können Sie gerne auf unserer Facebook-Seite diskutieren.