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Zazie, c'est Pippi plus Dada

■ Wieder im Kino: Louis Malles „Zazie“

Wenn ein anarchistischer Dadaist Pippi Langstrumpf aus der Villa Kunterbunt ins Paris der frühen sechziger Jahre verpflanzt hätte, dann würden ihre Abenteuer etwa so aussehen wie dieser Film. Zazie ist ein kleines, rotzfreches Mädchen, das für anderthalb Tage aus der französischen Provinz nach Paris kommt, und dort nichts weiter will, als in der Metro zu fahren. Weil diese aber gerade bestreikt wird, stromert die Göre durch Paris und erlebt dort Abenteuer mit einer Reihe von äußerst merkwürdigen Erwachsenen.

Sie kann jedem ein Schnippchen schlagen und selbst einem veritablen Lustmolch auf dem Flohmarkt ein Paar Bluejeans abschwatzen. Ihr netter Onkel Gabriel arbeitet nachts als „beste spanische Tänzerin“ der Stadt und begleitet Zazie recht verschlafen durch die Stadt, so daß sie ihm immer wieder ausbüxt und schnell noch ein paar Erwachsene mehr ins Chaos stürzt.

Wenn irgendein Film nicht nach Literaturverfilmung riecht, dann dieser. Und dennoch ist er eine Adaption des Romans von Raymond Queneau, der 1959 erschien und als „sprachartistisches Kunstwerk des Nouveau Roman“ gefeiert wurde. In seinem dritten Film nach „Fahrstuhl zum Schafott“ und „Die Liebenden“ springt Louis Malle ebenso verwegen und phantasievoll mit der Filmsprache um wie Queneau mit den Worten. Wie aus einer Spielkiste bedient er sich fast sämtlicher Tricks, mit denen in der Filmgeschichte das Publikum verblüfft und erheitert wurde:

Stop-Tricks, die Zazie von allen physikalischen Gesetzen befreien; Montagen, die Menschen unbeschadet vom Eifelturm springen lassen; Rückprojektionen, die sich plötzlich hinter den Schauspielern zu drehen beginnen; und immer wieder Zeitraffer, die die Filmfiguren aufgeregt zappeln lassen wie in Slapstick-Filmen. Einige Jahre später wurde Richard Lester mit diesem surrealistischen „anything goes“ Filmstil berühmt; heute ist Terry Jones einer seiner würdigen Erben. In „Zazie“ wurde diese Mischung aus aberwitzigem Filmschnitt und Nostalgie für Stummfilmkomödien zum ersten Mal angewandt. Aber Malle tobte sich so nur dieses eine Mal aus, er machte danach völlig andere Filme, während Lester und Jones mit dieser Masche ihre Karrieren zusammenstrickten.

Nichts ist Zazie und Malle hier heilig: auf dem Eifelturm turnen sie herum wie einst Harold Lloyd auf den Wolkenkratzern von New York und auch die Nouvelle Vague, zu deren Vorkämpfern Malle neben Godard, Truffaut und Resnais gehörte, wird lächerlich gemacht: Immer, wenn Zazie eine besonders obzöne Beschimpfung losläßt, sagt jemand besänftigend: „Voila – c'est la Nouvelle Vague!“

„Zazie dans le metro“ ist gut gealtert. Manchmal wirkt es heute ein wenig rührend, wie eifrig Malle hier seine Kunststücke aus der Filmtrickkiste präsentiert und gegen Ende des Films ist das Unvorhersehbare dann doch ein wenig zu vorhersehbar.

Aber die fröhlich-anarchistische Grundstimmung des Films wirkt erstaunlich jung und ansteckend. Der größte Teil des Films besteht aus Außenaufnahmen, und oft filmte Malle einfach so im Stadtgewimmel drauflos, so daß man hier nebenbei auch ein wunderschönes, farbiges Stadtportrait von Paris zu sehen bekommt. Catherine Demongeot lacht manchmal so frech und ansteckend in die Kamera, daß man spürt, wieviel Spaß es ihr gemacht hat, die freche Zazie zu spielen. Ihren sanften Onkel Gabriel spielt Philippe Noiret sehr komisch, - es ist eine seiner ersten Filmrollen. In einer blitzeblanken neuen Kopie und als Original mit Untertiteln ist dies ein Film, an dem nicht nur die Kindsköpfe und Frankophilen ihren Spaß haben.

Wilfried Hippen

Cinema tägl. 21 Uhr

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