: Löhne sichern nicht den Lebensunterhalt
■ betr.: „Überflüssiges Manöver“, „Sozialhilfe soll weiter gekürzt werden“, taz vom 12./13. 4. 97
Löhne werden nach liberalistisch-kapitalistischer Anschauung frei ausgehandelt. Sie sichern – frei nach Lassalles ehernem Lohngesetz, das bereits für überwunden galt – nicht notwendig den Lebensunterhalt. Daher kann ein Lohnabstandsgebot für eine soziale Mindestabsicherung, wie es die Sozialhilfe darstellt, nicht funktionieren und wäre überdies verfassungswidrig, solange es keinen allgemeingültigen Mindestlohn gibt.
Ich habe es als Sozialberater tatsächlich erlebt, daß Löhne unterhalb des Existenzminimums gezahlt wurden, so daß ergänzende Sozialhilfe gezahlt werden mußte. Ergo: Die Lohnhöhe unterer Einkommensgruppen ist nicht immer ausreichend. Umgekehrt ist also anzusetzen. Ein allgemeinverbindlicher Mindestlohn, mindestens 15 Prozent über dem derzeitigen Sozialhilfesatz gelegen, muß also her! Michael Heinen-Anders,
Diplomökonom, Troisdorf
[...] Die Kürzung der Unterstützung ermöglicht es, die untersten Lohngruppen noch schlechter zu bezahlen. Mag sein, daß sei richtig: Es muß ein Abstand zwischen den Menschen sein, die hart und viel und auch in Scheißjobs für ihr Geld arbeiten, und denen, die nicht arbeiten. Aber dieser Abstand kann nicht gewahrt oder geschaffen werden, indem die, die zu wenig haben, noch weniger kriegen. Dann müssen endlich Menschen für ihre Arbeit gerechter bezahlt werden.
Die Konzerne fahren die höchsten Gewinne ihrer Geschichte ein, die größten Banken haben wieder Milliardengewinne abgezogen, ebenso die großen Chemiekonzerne, Versicherungen, jetzt sogar VW und und und. Dabei entlassen sie auch noch Leute. Die Börsen notieren Jahr um Jahr neue, schwindelerregende Rekordstände. Es wurde in Deutschland noch niemals so viel Geld umgesetzt wie heute – und es waren noch niemals so viele Menschen ohne Arbeit.
Wir sind ein Gemeinschaftswesen, in dem die Starken die Schwachen unterstützen sollten. Aber in Wirklichkeit wird verlangt, daß die etwas weniger Schwachen die Schwachen unterstützen, während die Starken immer stärker werden.
Diese Regierung schürt den Sozialneid. Aber seltsamerweise sind die Leute offenbar neidisch auf die paar möglichen Nutznießer, die es tatsächlich geben mag, die vielleicht was umsonst bekommen oder zehn Mark zuviel kassieren. Selbst wenn es eine Million wär, die aus Faulheit oder Lustlosigkeit oder weil sie halt keine menschenunwürdige Arbeit machen wollen, kassierten: sie würden zusammen immer nur einen Bruchteil dessen bekommen, was ein einzelner der großen Konzerne an Gewinnbeteiligung an seine Aktionäre ausschüttet. Seltsamerweise scheint darauf niemand neidisch zu sein.
[...] Millionen sind ohne Arbeit, und es werden seit Jahren ständig mehr. Das wäre eine echte Sparmaßnahme: den Leuten bezahlte Arbeit geben! Daran läßt sich der Wert und das Funktionieren unserer Gesellschaft ablesen. Daran gemessen, hat unser System versagt. Doch daran wird es ja nicht gemessen. Es wird offenbar an Aktienkursen gemessen. [...] Harry Tobinski,Kiel
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