Zwischen Tradition und Improvisation

■ Deutsche und österreichische Klezmer-Ensembles im Vegesacker KITO

Fünf Tage lang Klezmer-Musik im Kito, fünf Tage lang Musiker, die sich freuen, sich schelmisch anblinzeln; eine Akkordeonspielerin, die mit ihrem Duettpartner musikalisch flirtet, ein Gitarrist, der tapsig wie ein Bär herumtorkelt, ein Bassist, der stumm seine Melodie mit dem Kiefer mitmalmt, ein Klarinettist, der auf seinem Instrument mitleiderregend zu jammern und zu fipsen anfängt.

Und plötzlich wird klar: das Klezmer-Revival ist weniger musikalische Wiedergutmachung am Judentum als die Suche nach Unbeschwertheit über den Umweg einer fremden Kultur.

Helmut Eisel, Klarinettist des Trios JEM, erzählt von einer Kultur desVagabundendasein, wo völlig fremde Musiker auf Festen und Märkten zu einem gemeinsamen Ton fanden, sich austauschten und anregten. Carsten Schelp, Mandolaspieler von la'om, erinnert an eine Gesellschaft, in der es noch keinen bedeutenden Grabenkrieg zwischen den Generationen gab. Deshalb, so seine Vermutung, ist das Publikum der Klezmer-Musik auch heute noch so aufregend gemischt, alternative Verschlurftheit neben adretter Bürgerlichkeit, jung neben mittelalt.

„In Deutschland kommen die meisten Klezmermusiker aus der Klassik“, erzählt Schelp. „Schuld daran ist Giora Feidman.“Seine stupendes Handwerk animierte vor allem Techniker zur Nachahmung. Etwas anders ist es in Amerika. Dort haben viele Klezmatics ihre musikalische Heimat in der Folk-Szene: „Ein Bluegrassmusiker hat große Erfahrung in Sachen musikalischer Recherche. Diese archäologischen Fähigkeiten wurden übertragen auf die Klezmermusik.“

Daß die Ergebnisse dieser Traditionssicherung recht vielfältig sind, liegt an der Klezmer-Musik selbst. Sie ist definiert durch ihre Undefinierbarkeit, ebenso wie ihre Träger in einem Zustand ständigen Vagabundentums, über die Jahrhunderte offen für alle Einflüsse, passend für alle Gelegenheiten.

Als Musik einer Gesellschaft, in der eine Trennung von Ritus und Party, U und E, Religion und Alltag noch nicht stattgefunden hat, zeichnet sie universale Verwendbarkeit aus. „Viele traditionelle Melodien existieren in unterschiedlichen Varianten“, erzählt Schelp, „zum Beispiel einer langsamen für die Beerdigung und einer beschwingten für das Hochzeitsfest.“Unendlich weit weg scheint die Idee der deutschen Klassik, daß jeder Inhalt nach einer ganz bestimmten Form verlangt.

Joshua Horovitz sucht das Echte

Rappelvoll und heiß war's im KITO, als die Horovitz Klezmorim das fünftägige Klezmer-Festival eröffneten. Das international besetzte Trio bemüht sich um eine möglichst authentische Wiedergabe der alten Klezmermelodien. Instrumentierung und Klangfarben orientieren sich an historischen Vorbildern, die insbesondere Joshua Horovitz, ein in Österreich lebender US-Amerikaner, in musikalischer Feldforschung zusammengetragen hat. So spielte Horovitz ein Tsimbl (Hackbrett), das nach alten Zeichnungen angefertigt worden war, sowie ein 1889 hergestelltes Knopfakkordeon. Merlin Shepherd (GB) blies eine C-Klarinette, der bevorzugte Typus der Klezmorim des 19. Jahrhunderts, und Géza Pénzes (Ungarn) benutzte ein dreisaitiges Cello, das er mit kurzem Bogen strich und stehend an einem dünnen Seil über die Schulter gehängt hatte, ähnlich wie die früher auch als Wandermusiker umherziehenden Klezmorim. Das thematische Material der drei Musiker orientierte sich ebenfalls an den Traditionen. Gekonnt, aber eher akademisch als mitreißend, stellten sie in mehreren Medleys bekannte Formen und Melodien des Klezmerrepertoires vor: Bulgars, Doinas, Horas, Niguns oder sephardische Melodien. Meist handelt es sich dabei um Tänze, mal in getragenem, mal in schnellem Rhythmus, in denen die jüdischen Klezmorim, d.h. Musiker, ihre eigenen musikalischen Traditionen mit der Folklore ihrer jeweiligen Heimatregionen verschmolzen. Dabei ließ Shepherd klezmertypische Ornamentierungen und Melismen mit viel Vibrato und Tremolo hören. Ist doch ein Charakteristikum dieser ostjüdischen Instrumentalmusik die Nachahmung des vokalen Ausdrucks, insbesondere durch das jeweilige Solo-Instrument. Schließlich wurzelt die Klezmermusik u.a. im religiösen Gesang und den ekstatischen Liedern der chassidischen JüdInnen. Den zweiten Teil des Abends verwandelte Horovitz etwas unvermittelt in einen Vortrag, indem er historische Klezmer-Aufnahmen vom Band einspielte, zu denen er allerdings kaum Substantielles ausführte, z.B. über die Spezifik der unterschiedlichen Formen. Dafür plauderten die Musiker ein wenig über sich, was ganz nett war, aber auch in den Anmoderationen möglich gewesen wäre.

la'om „krekhts“t ganz gut

Etwa zwei Jahre lang dauert es, bis man auf Workshops die Klezmer-Technik einigermaßen erlernt, erzählt Stefan Litsche, der Klarinettist von la'om. Jetzt kann er den „krekhts“, dieses schluchzerartige Hochschnelzen eines Tons, oder das wohlige Glissandoverschmieren der Töne und ein schnippisches Abreißen eines Klangs ganz gut. Technische Zauberer sind die fünf Musiker von la'om aber nicht. Dafür zelebrieren sie versiert unterschiedliche Dialogformen. Ganz anders als in klassischer Kammermusik spielen oft zwei Instrumente gleichzeitig die Melodie. „Sinnlose“Verdoppelung zum Zweck der Spiellaune. Die klassische Vorstellung vom Zusammengehen der Schönheit mit größtmöglicher Ökonomie hat hier noch nicht Einzug gehalten. Wenn sich die Melodieinstrumente aber auseinanderdividieren und miteinander unterhalten, dann wird ein Reichtum der Polyphonie freigesetzt, der von keinem Lehrwerk der Kontrapunktik in den Griff zu bekommen wäre. Da wird aufgeschnappt, nachgeäfft, umgewendet, alles recht locker und improvisiatorisch wie im Jazz.

An Authentizität desinteressiert ist die Darmstädter Gruppe Colaila um die Klarinettistin Irith Gabriely. Gabriely behauptete einfach, jede Musik sei Klezmer, wenn sie nur entsprechend gespielt würde. Denn Klezmer sei – „seit 5700 und etwa 58 Jahren“– Musik zur Unterhaltung, solle vor allem Freude bereiten, von Seele zu Seele „sprechen“. Demgemäß agierte das Quartett temperamentvoll und äußerst unterhaltsam. Gabriely tanzte auf der Bühne herum, bewegte sich durchs Publikum und leitete die Stücke mit kleinen Kostproben jüdischen Humors ein. Aber die Klarinettistin erwies sich nicht nur als quirlige Entertainerin, sondern auch als großartige Instrumentalistin, die über eine modulationsreiche Audruckspalette verfügt. Sie ließ ihre Klarinette jauchzen, klagen, lachen und trillern, dass es eine Freude war. Kongenial begleitet von Susana Gasijants an der Geige, Martin Wagner am Akkordeon und Hanns Malolepssy am E-Bass, dessen Klangfarbe allerdings manchmal etwas fremdartig im Kontext dieser Musik wirkte. Jedenfalls brachten Colaila die emotionale Kraft von Klezmer, dieses eigentümliche Schwanken zwischen verzweifelter Traurigkeit und ekstatischer Fröhlichkeit, deutlich zum Ausdruck. Egal, ob es sich um Bearbeitungen traditioneller Stücke oder klezmerisierte Versionen von Chick Coreas Jazzrocktune „La Fiesta“oder Beethovens „Sturmsonate“handelte, die besondere Beseeltheit, die Klezmer auszeichnet, war in der Musik Colailas trotz der strikt auf Unterhaltsamkeit ausgerichteten Präsentation durchaus zu spüren.

Arnaud/bk