Böse Buben und kein Groschenheft

■ In Hans Joachim Schädlichs „Trivialroman“ wird Geschichte zu einem vieldeutigen Comic

Die Lage ist aussichtslos, der Laden, der das Land ist, verloren, der Chef mit den Geldkoffern weg. Er trägt die Verantwortung für den Fortbestand der „Sache“. Vier Männer sitzen fest, in der Bar, die ein Bunker ist. Sie sprechen sich mit ihren Ganovennamen an: Dogge, der zweite Mann nach dem Chef und zuständig fürs Grobe, Qualle, der Prediger und Ideologe, Biber, der Praktiker, und Feder, der Ich-Erzähler, ein Zeitungsmacher und Redenschreiber.

Es gibt eine Außenwelt. Die ist in der Hand der „anderen“. Dort ist Aal, ihr Nachrichtenmann, abgetaucht. Wanze, der zweite Lauscher, sitzt draußen ebenso fest wie die beiden Oberkiller Ratte und Natter. Letzterer wird später zu ihnen stoßen. Das wird sein Verhängnis.

Dann ist da noch Clarissa mit dem kleinen Arsch und den großen Brüsten, Stripteasetänzerin zur Unterhaltung des Chefs, bis sie mit dessen Erlaubnis Dogges Lüste ehelich zu befriedigen hatte. Dogge, der sein Weltbild in Whisky und Weinerlichkeit ertränkt, landet auf dem Teppichboden der Bar, behindert nur. Biber ergreift die Initiative, entwaffnet und fesselt ihn. Biber plant den Ausstieg, wird zum Macher, nimmt sich der „gerechten Sache“ an, des Geldes aus Dogges Safe.

Hans Joachim Schädlich spielt – bis in die Sprache und Requisiten – mit allen Registern des Trivialen: Es wird sich gerächt und gefürchtet, gefickt und mit Pistolen gefuchtelt. Wenn dieser Autor sein jüngstes Werk „Trivialroman“ nennt, ahnt man, daß sich zwischen den Buchdeckeln mehr als ein Trivialroman verbirgt.

Tatsächlich läßt sich in dem „Bar“ genannten Laboratorium ein Experiment in seinem entscheidenden Stadium beobachten. Eine in sich erstarrte Minimacht kippt, und eine neue Rangordnung wächst unter dosierten Zugaben von Feigheit und Verschlagenheit, Käuflichkeit, Obszönität und Brutalität. Dabei bleiben Ort und Zeit konsequent in der Schwebe. Nie fällt das Wort Mafia oder Diktatur. Assoziationsräume sind den Lesern vorbehalten.

Während der in Reichenbach/ Vogtland gebürtige und 1977 ausgebürgerte Autor in seiner Prosa von „Versuchter Nähe“ (1977) bis zum Roman „Schott“ (1992) auch märchenhafte Elemente einsetzte, nutzt er in „Trivialroman“ die harten Konturen des Comic. Alle Figuren agieren emotionslos und distanziert. Sie funktionieren. Der „Trivialroman“ ist eine Parabel über die Gleichartigkeit von Gangstertum und totalitärer Herrschaft.

Im Zusammenbruch sieht Feder für sich nur eine Chance: Alles aufschreiben, später! Den Bunkeralltag im Geiste notieren. Dazu immer wieder Rückblenden. Sie erhellen die Normalität des Perversen. Vorsorglich legt er sich Argumente zurecht: Er habe auf hoher Ebene mitgemacht, um von innen heraus zu erkunden. Überraschend aufgestöbert, stehen sie plötzlich im Freien und staunen: Kaum einer interessiert sich für sie. Um sie herum herrscht „Rechtsstaat“. Dogge wird verurteilt. Der Ich-Erzähler verfällt in eine Sinnkrise. Doch die „Zentrale“ versorgt ihn weiter mit Wohnung und Geld, zeigt auch ihre Zähne: Sollte er plaudern...

Nichts Neues also? Schädlichs „Trivialroman“ erscheint einfach und anstößig. Hintergründig konsequent tauchen diese Gestalten unter, überwintern, unterwandern: Biber als Immobilienmakler, Qualle als Führer der Gemeinde, in der sich an jedem Donnerstag, dem Tag ihrer Vertreibung, die alte Elite trifft. Feder besucht sie, ist hin- und hergerissen zwischen Ekel und Geborgenheit. Es bleibt die unbehagliche Ahnung einer geheimen Grenzüberschreitung. Seismographische Erschütterungen wurden dabei nicht registriert. Geschichte wird zum Comic. Vielleicht gehört das zum Programm. Udo Scheer

Hans Joachim Schädlich: „Trivialroman“. Rowohlt Verlag, Reinbek 1998, 160 Seiten, 32 DM