Der Gesamtschullehrer als Zeitbombe

Zwei Männer reden sich in Rage vor lauter abgrundtiefem Haß auf ihre Ex-Frauen. Die Rachegelüste und Mordabsichten des einen sind überall bekannt – aber alle hören weg. Dann explodiert die selbstgebastelte Autobombe  ■ Aus Köln Bernd Müllender

Markus Schöne heult. Mehrfach wird die Verhandlung des Kölner Schwurgerichts unterbrochen. Stotternd beichtet der 31jährischließlich, wie er an der Bombe mitgebaut hat. Aber Mordabsichten? Nein, davon sei nie die Rede gewesen. Nur einen Riesenschreck habe man dem Opfer einjagen wollen. So wie es der Rainer doch immer gesagt habe.

Auch Rainer Heise (38), Gesamtschullehrer für Physik und Mathematik, ist seit Montag geständig. Auch er schluchzt und jammert. Nein, er habe seine Ex- Frau nicht töten wollen, nur erschrecken, in Panik versetzen: diese verhaßte Frau, die ihn ständig provoziert und erpreßt, ihm die Kinder vorenthalten habe. Kurz: die ihn, den Mann, so fürchterlich gedemütigt hatte. Heises Reue vor Gericht wirkt wie das Theater eines Kriegsdienstverweigerers im Vorbereitungskurs auf seine Gewissensprüfung. „Schauspieler!“ ruft der Bruder der Ermordeten in den Gerichtssaal. Irmgard Heises Zwillingsschwester Irene wendet sich angewidert ab: „Dieses Gewinsel. Alles Lüge.“

Zwei Männer, ein Drama: Am Freitag, 27. Februar 1998, 13 Uhr 55 explodiert auf dem Parkplatz der Gesamtschule im oberbergischen Marienheide bei Köln die Autobombe wie geplant, als Irmgard Heise (37) den Zündschlüssel dreht. Sie und eine unbeteiligte 44jährige Kollegin auf dem Beifahrersitz sind sofort tot, die Körper bis zur Unkenntlichkeit verkohlt, die Rücken „teilweise skelettiert“, wie der Obduktionsbericht vermerkt.

Die Tat wurde wochenlang akribisch geplant: Für den BMW seiner Frau hatte Heise noch einen Zweitschlüssel. Sein Helfer und er fuhren den Wagen morgens vom Schulparkplatz weg, präparierten ihn mit einem halben Eimer voll Schwarzpulver aus Sylvesterknallern, mit Gaskartuschen und der zündautomatischen Elektrik, manipulierten die Türen, daß sie von innen nicht mehr zu öffnen waren und fuhren den Wagen zurück. Der Staatsanwalt klagt an wegen „heimtückischen Mordes aus Habgier“. Habgier? Das mag juristisch ein opportuner Begriff sein. In der Strafsache Heise ist er zu banal.

Der Haupttäter

Rainer Heise ist ein intelligenter Mensch. Schule, Referendariat, einen Job bei Bayer, dann die Lehrerstelle. Bei Schülern soll er beliebt gewesen sein. Er nennt sich „einen ruhigen Typ, schüchtern, liebebedürftig“. Die biedere beige- gemusterte Weste, die er im Prozeß trägt, ist das äußere Merkmal seiner Unauffälligkeit. Er schildert seinen Lebenslauf, seine Liebesbeziehungen waren immer problematisch: „Ich weiß ja, wie ich aussehe“, gibt er zu Protokoll.

In die Referendariatskollegin Irmgard verliebte er sich sofort. Sie heiraten 1989, bekommen zwei Kinder. Doch: „Die Ehe entwickelte sich nicht so.“ Streit, Entfremdung, dabei „wollte ich doch nur Harmonie und Liebe“. Seine Frau habe ihn „bei Dritten angeschwärzt und mit ihrem Geiz gequält, später das Gesicht zerkratzt“. Irmgard sei eine schlampige Hausfrau gewesen. Sagt Heise. „Vollgeschissene Windeln lagen über Wochen im Badezimmer. Es stank infernalisch.“ Warum er sie nicht weggeräumt hat, sagt Heise nicht.

Offenbar triezen sich zwei bis aufs Blut. „Es war wie ein Gruselfilm, der reine Horror.“ Seine Frau zieht aus, Heise verliebt sich in eine Thailänderin: „Die hat mir in sechs Wochen mehr Liebe gegeben als Irmgard in sechs Jahren.“ Sie will in Deutschland bleiben, ihn heiraten. Aber Irmgard Heise läßt den Scheidungstermin platzen, die Thailänderin muß das Land verlassen. Nach der Scheidung 1996 habe ihn seine Ex-Frau immer raffinierter erpreßt, sagt Heise, und ihm trotz Absprachen die Kinder vorenthalten. Einmal habe sie „im Auto cash kassiert, damit sie zu mir durften“. Heise wird krank, geht zum Arzt und sieht „auf dem Röntgenschirm Irmgards Bild“.

Therapeutische Hilfe sucht er nicht. „Freunde um Rat zu fragen, war mir zu peinlich. Ich war immer im Zweikampf mit mir selbst.“ Er findet kein Ventil. Wohl aber stellt er einmal Strafantrag wegen Erpressung; die Behörden ermitteln erst gar nicht. In seiner wahnhaften Phantasie schreibt er das HGB nieder, das „Heisesche Gesetzbuch“, in dem er auf 20 Seiten das neue Grundgesetz einer gerechteren Welt zusammenformuliert. Immer häufiger habe er gedacht: „Die Irmgard muß ich wegmachen.“ Im Sommer 1997 sei da nur noch „die blinde Rache gewesen“. Aber auch der Gedanke: „Ich kann den Kindern doch nicht die Mutter wegnehmen.“

Nein, er habe sie nur erschrecken wollen mit der Brandbombe. Als Heise noch am Tattag festgenommen wurde, leugnete er, so ein Vernehmungsbeamter, „total cool und kaltschnäuzig“. Nach der Tat, plaudert Heise jetzt, „bin in die Schule gefahren, meinen normalen Unterricht machen. Endlich hatte ich mich gewehrt! Ich kannte ja die wahren Folgen noch nicht. Heute schäme ich mich zu sagen: Ja, ich war erleichtert.“

Der Gehilfe

Markus Schöne ist ein einfach gestrickter Mensch. Sein letztes Zeugnis in Klasse 8 war „heftig: acht Fünfen, eine Sechs“. Fazit: „Schule war nicht mein Ding.“ Das Berufsleben auch nicht: Lehre abgebrochen, kaum ein Job, in dem er es länger aushält: „Dat waret auch wieder nich.“ Was nicht nur an ihm lag, denn immer wieder wird er als als billige Arbeitskraft ausgenutzt.

Privat ging es nicht besser. Beziehungen scheitern. Mit der großen Liebe hat er einen Sohn. Sie trennt sich von ihm. „Als ich das Kind besuchen wollte, wurde ich verprügelt.“ Die letzte Freundin „hat mir an meinem Geburtstag im Knast eröffnet, daß sie jetzt mit meinem Skatfreund zusammen ist“. Demütigungen auch hier. Eine verkrachte Existenz voller Minderwertigkeitskomplexe, antriebsschwach, leichtgläubig.

Da lernt er Rainer Heise näher kennen, seinen Vermieter. Erst durch Gartenarbeit (15 Mark die Stunde) und Gespräche über Computer. Dann wurde es „schnell eine Freundschaft“. Eine richtige Männerfreundschaft. Ihr liebstes Thema: die Frauen. Was die ihnen antun. Wie die ihre Macht ausspielen. Zwei sozial völlig verschiedene Männer, geeint in ihrer Wut. Rainer, sagt Schöne, habe sich da oft in Rage geredet. „Frauen taugen zu nichts.“

Ob er auch eine eigene Meinung gehabt habe, fragt der Richter. „Ja, nein, ich habe dem Rainer immer vertraut, der ist doch Lehrer, der hätte mich doch totdiskutiert.“ Anfangs hatte der Bastler Heise die Idee, eine Handgranate in den Luftkühler des Autos seiner Frau einzubauen. Ob er so was besorgen könne, habe Heise ihn gefragt. „Du hast ja 'nen Knall“, hat er ihm geantwortet. Und, will der Richter wissen, haben Sie? „Ja, selbstverständlich!“

Von dem innigen Verhältnis zwischen Heise und Schöne will keiner im 18-Häuser-Dorf Überasbach etwas gewußt haben. Heise sagt: „Der Markus hat immer zu mir aufgeschaut.“ Dem Richter kommt Schöne „wie ein Leibeigener“ vor. Im Gerichtsflur fallen Begriffe wie „Heises Werkzeug“ oder „Hündchen“. In Tatbegriffen: Rainer Heise war die schlafende Bombe und Markus Schöne ihr Zünder. Er bekam von Heise 100 Mark und eine CD-ROM für die hilfreiche Mitarbeit.

Das familiäre Umfeld

Manfred Pieschowski (41), Unternehmensberater, ist der Bruder der Toten. „Rainer hat alles kalkuliert. Das ist der große Kampf seines Lebens. Er hat die Zielstrebigkeit zu vernichten. Und wenn der nach 15 Jahren rauskommt, dann wird er unsere ganze Familie auslöschen wollen.“ Und: „Würde der sich doch aufhängen, jetzt, dann wäre Ruhe.“

Pieschowski erzählt Geschichten von einem herrschsüchtigen, kontaktscheuen Eigenbrötler, unnahbar, unfehlbar: Wie gern er andere auf der Autobahn ausgebremst habe („bis zum Fiat 500“), daß umgekehrt der Rainer die Irmgard erpreßt habe, einen Meineid zu schwören. Und von wegen Kinderliebe. Geschlagen habe er die Frau, die beiden Kleinen mißhandelt. Die Tochter aus Wut in deren Erbrochenes gelegt. Die Zeugin dafür: Irmgard. Die ist tot.

Es scheint, als wollte sich Irmgards Familie mit jedem Superlativ des Abscheus ein wenig reinwaschen von ihrer tatenlosen Blindheit. Pieschowski: „Natürlich kannten wir die Morddrohungen.“ Auch in der Schule habe man davon gewußt. „Aber wir haben es alle nicht glauben wollen.“ Und wenn Heise auf Gartenfesten tönte: „Die bring ich um“, hielt man das für Psychoterror. Als die Polizei am 27. Februar ins Familiendomizil kam, sagte Irmgards Vater sofort: „Hat dieses Schwein meine Tochter umgebracht?“ Was hätte man auch tun sollen? fragt Schwester Irene. „Bodyguards? Dann wäre es ein Jahr später passiert.“ Dennoch weiß sie: „Wir haben alle versagt.“

Das Urteil

Das Urteil ist für den 8. Dezember geplant. Es wird darauf ankommen, wie glaubwürdig die Zeugen aus Heises Umfeld sein Leugnen einer Tötungsabsicht erschüttern. Dann bleibt nur „lebenslänglich“.

Wenn aber Heise wirklich nur das große Feuerwerk wollte? Zeigt nicht das hinterhältige Durchtrennen des Türgestänges, daß er eben nicht mit einer solch gigantischen Explosion gerechnet haben könnte, sondern die Frau in Todespanik versetzen, im Qualm quälen, vielleicht „die Unterschenkel anbrennen“ (Heise) wollte? Nur lebendig hätte er sie leiden sehen können. Gegen eine Tote gibt es keinen Triumph. „Ich wußte: Die reagiert eiskalt, wenn es nicht richtig klappt. Dann hänselt sie mich erst recht. Die sollte wissen, der Rainer schlägt zurück.“ Heise wollte das große Machtspiel gewinnen. Aber Irmgard funktionierte nie, wie Rainer wollte. Selbst in der letzten großen Schlacht nicht.

Markus Schöne könnte ohne nachgewiesene Tötungsabsicht mit fünf Jahren Knast davonkommen. „Aber“, fragte der Richter schon, „was wäre dann, wenn Sie wieder so einen Heise kennenlernen...? Heißt, wer so grottennaiv ist, gehört eigentlich in Sicherheitsverwahrung.

Einen Tatbestand moralisch fahrlässiger Beihilfe kennt das Strafgesetz nicht. Niemand hat Irmgard Heise geschützt. Alle haben offenbar nur zurückgehaßt, zurückgehöhnt. Fest steht: Die Frau hatte Angst, sagte das auch. Als sie ihre Antwort auf Rainer Heises Denunziationsbrief an die Schulbehörde verfaßte, in dem er behauptet hatte, er habe ihre Examensarbeit geschrieben, war als Schlußsatz vorgesehen: „Jetzt kann ich wohl auch mit meinem plötzlichen Ableben rechnen.“ Auf der Diskette zu Hause war der Satz noch, im Ausdruck hat sie ihn im letzten Moment gelöscht. Warum, weiß niemand. Genutzt hätte es nichts mehr. Der Brief kam in den Minuten auf den Schreibtisch der Sachbearbeiterin, als Irmgard Heises BMW explodierte.