Die Kriegsgefahr um Zypern ist gebannt

■ Die Pläne, russische Raketen in Zypern zu stationieren, scheinen vom Tisch. Unklar bleibt die mögliche EU-Mitgliedschaft Zyperns

Nikosia (taz) – Die Kriegsgefahr auf Zypern ist offenbar gebannt. Zwar droht die Türkei weiterhin im Falle der Stationierung russischer Flugabwehrraketen mit einem Angriff. Nach übereinstimmenden Aussagen aus diplomatischen Quellen will die Republik Zypern die umstrittenen Raketen vom Typ S-300 aber nicht mehr in Betrieb nehmen.

In Nikosia ist man zu der Überzeugung gekommen, daß eine Stationierung mehr Schaden als Nutzen bringt. Damit bliebe die uneingeschränkte Luftüberlegenheit der Türkei erhalten. Die Raketenfrage hat jedoch zu einer nachhaltigen Störung der Beziehungen zur Europäischen Union und zu den USA geführt, die unisono eine Aufgabe der Aufrüstung verlangen.

Offiziell heißt es auf Zypern allerdings, an den Raketen werde festgehalten. Nach mehrmaligen Terminverschiebungen für deren Stationierung – zuletzt sollten die S-300 im November geliefert werden – wird aber kein Datum mehr genannt. Zu Spekulationen, die Kurzstreckenraketen könnten im nächsten Frühjahr die Insel erreichen oder auch zunächst in Griechenland verbleiben, will sich die Regierung nicht äußern. Tatsächlich scheint es jedoch nur noch darum zu gehen, das Gesicht zu wahren. Es soll vermieden werden, daß der Verzicht als ein Erfolg der Türkei erscheint. Zudem benötigt man eine sinnhafte Erklärung für die eigene Bevölkerung.

Die Stationierung der S-300 war ursprünglich mit dem Ziel angedroht worden, dadurch die USA und Europa dazu zu veranlassen, gegenüber der Türkei den politischen Druck zu erhöhen. Die Gefahr eines „heißen Konflikts“ sollte ein Einlenken Ankaras und ein Ende der türkischen Besetzung Nordzyperns erzwingen. Verbunden war die drohende Aufrüstung denn auch mit dem Angebot totaler Abrüstung, falls es zu einer Lösung des Konflikts käme. Passiert ist freilich das Gegenteil: Die Türkei erklärte die Raketen zu einer potentiellen Bedrohung ihrer Südküste. Ankara drohte seinerseits bei einer Stationierung offen mit einem militärischen Erstschlag. Von den Vereinten Nationen und den USA vermittelte Gespräche scheiterten mehrfach.

Zudem hat die Raketenfrage das Verhältnis zur EU ausgerechnet zu dem Zeitpunkt belastet, zu dem die Republik Zypern offiziell Verhandlungen über einen Beitritt zur Gemeinschaft aufgenommen hat. Die Kriegsgefahr hat dazu geführt, daß ohnehin skeptische EU- Mitglieder noch weiter auf Distanz zu einer EU-Mitgliedschaft Zyperns gingen. Erst vor zwei Wochen haben zu Beginn der Beitrittsgespräche Deutschland, Frankreich und die Niederlande unmißverständlich deutlich gemacht, daß für sie eine Mitgliedschaft Zyperns nur nach dem Ende des Konflikts in Frage komme.

Das hat wiederum in Griechenland Stimmen wiederaufleben lassen, die für diesen Fall mit einer Blockade der EU-Ausweitung nach Osteuropa durch ein Athener EU-Votum drohen. Ob man damit ernst macht, bleibt freilich abzuwarten: Griechenland würde sich damit vollständig isolieren. In Griechenland wie auf Zypern reagierte man auf den Einwand der drei Staaten ungehalten. Schließlich sei schon bei dem Beschluß, mit Zypern Gespräche über eine EU-Mitgliedschaft zu führen, das Problem der Besetzung bekannt gewesen. Wenn als Voraussetzung für eine EU-Mitgliedschaft Zyperns ein Ende der faktischen Teilung der Insel genannt wird, erhielte die Türkei automatisch die Rolle eines Entscheiders, betonen Regierungskreise in Nikosia. Schließlich sei es Ankara, das den Nordteil besetzt und mehrfach Verhandlungen zur Gründung eines gemeinsamen Bundesstaates torpediert habe. Die Türkei wiederum lehnt eine EU-Mitgliedschaft Zyperns strikt ab. Der Präsident der international nicht anerkannten „Türkischen Republik Nordzypern“, Rauf Denktasch, hat mehrfach damit gedroht, sein „Staat“ könne sich in diesem Fall noch enger an Ankara anbinden. Gespräche über eine Wiedervereinigung seien dann passé.

In Athen blühen derweil die Spekulationen, wie man diesen Knoten entwirren könnte. Als eine mögliche Version wird gehandelt, die Republik Zypern könne dann der EU beitreten, wenn man die faktische Teilung anerkenne. Das erscheint allerdings völlig unannehmbar, schließlich beharren nicht nur Griechen und Zyprioten, sondern auch die Vereinten Nationen und die EU auf dem Standpunkt, die Besetzung des Nordens sei illegal.

Wie und wann sich Zypern auch offiziell von den Raketen verabschiedet, ist derzeit unklar. Militärisch gesehen machten sie ohnehin keinen Sinn. Gegen einen konzentrierten Luftangriff wäre das der US-Patriot ähnelnde System chancenlos. Zudem benötigte Zypern zum Schutz der S-300 vor gegnerischen Raketen weitere Raketen, die sich der Kleinstaat aber finanziell kaum leisten könnte. Klaus Hillenbrand