Das Jahr der Handwerker

Der Berliner Zeitungskampf geht mit neuem Personal in eine neue Runde. Doch die Sache hat etwas an Elan verloren    ■ Von Lutz Meier

s ist der Kampf der Kämpfe. Der Platz, an dem er stattfindet, ist der spannendste, heißt es, der Titel, der zu vergeben ist, der begehrteste, die Bandagen sind die härtesten. Aber die Aussichten sind natürlich phantastisch.

Trotzdem sehen die Protagonisten des großen Berliner Zeitungskampfes etwas müde aus. Der eine ist ein freundlicher kleiner Mann mit funkelnden Augen, der sich mit beiden Händen übers Gesicht fährt und entschuldigend einen Halbsatz sagt: „Wir sind mitten –“

Giovanni di Lorenzo, im Nebenberuf Fernsehtalkmaster („III nach neun“) im Hauptberuf aber seit Januar Chefredakteur des Tagesspiegel braucht es nicht zu Ende zu sagen. Durch den grauen Flur, an dem das Chefzimmer liegt, sind schon einige gegangen, die das ehrwürdige Westberliner Blatt aus den Jahren des Stillstands zu führen versprachen. Doch was da jetzt los ist: Hier muß di Lorenzo einen Blick auf eine Seite werfen, dort im Vorbeigehen den Text einer Redakteurin plazieren; der Verlagschef will sofort angerufen werden, die Umzugskisten aus Tutzing stehen auch noch überall rum. Und am Pfingstsonntag sollte di Lorenzos neuer Tagesspiegel vorerst fertig sein.

Tagelang hatte sich der Chefredakteur die neuen Seiten im Schlafzimmer an die Gardine geheftet, bis das richtige Rot gefunden war, um das verhaßte Gelb (di Lorenzo: „unentschlossen“) abzulösen. Eine Ankündigungsleiste unter dem Titel wurde abgeschafft (di Lorenzo: „Provinziell“), der Schlagzeile (di Lorenzo: „Viel zu eng“) mehr Platz verschafft. Das ist nicht viel Änderung, doch schreibt di Lorenzo seinen Lesern nicht auch sibyllinisch, Ziel sei es, „den Tagesspiegel soweit wie möglich unverändert zu lassen“? Damit soll endlich auch dieses Blatt gerüstet sein für die „Meinungsführerschaft in dieser Stadt“ und „hohe nationale Ausstrahlung“ – für das „Jahr der Entscheidung“, von dem di Lorenzo und sein Konkurrent von der Berliner Zeitung unisono sprechen.

Martin E. Süskind ist ein Mann, der keine raumgreifenden Gesten macht. Er, eher hochgewachsen, geht nachdenklich zum Fenster, fragt dann erst einmal, ob er rauchen darf, und schickt durch seine Brille skeptische Blicke. „Zusammenführen“, sagt er, „verstetigen“, „vertiefen“. Gerade mal eine Woche ist er Chefredakteur der Berliner Zeitung, die bereits hinter sich hat, was Giovanni di Lorenzo eben angeht. Vor anderthalb Jahren ist Süskinds Vorgänger, der Österreicher Michael Maier durch den Plattenbau am Ostberliner Alexanderplatz geturnt, hat von „nationaler Bedeutung“ gesprochen und mit Le Monde und sogar der Washington Post gewedelt – seine rundum neu gestylte Berliner Zeitung immer dazwischen.

Erst als Maier sich Ende ‘98 zum Stern davonmachte und der Neue bald ein halbes Jahr auf sich warten ließ, blickte man in dem Plattenbau wieder zweifelnd an sich herab. Dank des Wirbels seines Vorgängers ist Martin Süskind immerhin der erste Chefredakteur seit langem im Berliner Zeitungskampf, der keine Wiedergeburt zu inszenieren braucht. „Ich verkünde nicht noch einen Aufbruch“, verspricht Martin E. Süskind, gelte es doch, das Blatt „noch mehr dem zuzuführen, was eine Hauptstadtzeitung ausmacht“. as Wort „Hauptstadtzeitung“ hat immer noch genug Macht, auch über zurückhaltendere Männer wie di Lorenzo und Süskind. Der Kampf aber findet auf der Straße statt: Dort werden Zeitungen, Prämien, Inserate verschenkt.

Der harte Kampf hat zuerst die schlichte Ursache, daß in Berlin drei der größten deutschen Presseriesen aufeinandertreffen (s. Kasten). In der Hauptstadt zelebrieren die Verlage, was sie in der Provinz längst abgeschafft haben: Wettbewerb. Während G+J-Zeitungsvorstand Bernd Kundrun die Berliner Zeitung zum glanzvollen publizistischen Flaggschiff auftakeln ließ, nennen die G+J-Manager bei Blättern wie der Sächsischen Zeitung in ihrem unverblümten Jargon nur ein Ziel: „Abmelken.“ Das Dresdner Blatt liefert Rendite, egal was drinsteht.

In Berlin mögen indes immer weniger zu den Zeitungen greifen, die doch immer besser werden wollen. Giovanni di Lorenzo jubelt, daß er im 1. Quartal netto 716 Käufer gewonnen hat, obwohl zur gleichen Zeit fast 1.000 seiner Abonnenten das Weite suchten. Das Blatt kostet den Holtzbrinck-Konzern laut Manager Magazin jährlich 9 Millionen, die Investitionen di Lorenzos noch nicht mitgerechnet. Und die Berliner Zeitung, laut Verlag noch kostendekkend, verkündet alle Stichtage aufs neue, ihr Auflagenverfall sei gestoppt. Die Abokurve zeigt dennoch abwärts. Die überregionalen Verkäufe der Berliner Blätter kann man getrost vergessen, gleichzeitig blasen die Überregionalen wie Süddeutsche Zeitung und FAZ mit eigenen Berlin-Seiten zum publizistischen Angriff. „Wir müssen aufpassen, daß wir keine virtuellen Zeitungen machen“, dämmert es daher auch Giovanni di Lorenzo. en Alltag beherrschen ohnehin die Mühen der Ebene. Beide Chefredakteure sprechen von „Qualität“, vom schlichten Handwerk als Weg aus dem Dilemma. Akribisch feilt di Lorenzo jeden Tag an Bild- und Schlagzeilen, um dem Tagesspiegel die „Seele“ einzupflanzen, von der er dauernd spricht: Lange schon sei nicht mehr so viel Bewegung dagewesen, attestiert ihm ein junger Redakteur, doch ein Längergedienter stöhnt: „Wir hatten schon so viele Aufbrüche.“

Es ist die Ironie an der Sache, daß der leidenschaftliche Mann aus dem Fernsehen beim grauen Tagesspiegel gelandet ist, dem er immerhin allein durch seine öffentliche Präsenz ein Imagelifting verschafft zu haben scheint. Und die muntere Berliner Zeitung soll nun der bedächtige Martin Süskind aus ihrer neuen Ungewißheit führen. Eine Reihe Redakteure ist dort gegangen. Zudem plant G+J-Zeitungsvorstand Kundrun mit der deutschen Financial Times ein neues Glanzprojekt, auch wenn er zu Süskinds Amtsantritt nach Berlin kam, um mit blumigen Worten zu besänftigen.

Martin Süskind hat als erstes mehr Stühle in den Konferenzraum stellen lassen. Er steht für keinen „Relaunch“ mehr, wie Maier, macht auch kein „Lifting“ wie di Lorenzo, will aber „eine Strukturoptimierung im Herbst in Szene setzen“: Mehr Politik und mehr Lokales, wo „den Berlinern über ihre ganze Stadt“ zu erzählen sei und den Neuberlinern von der „Lebensart“ der Riesenstadt. Die Ziele di Lorenzos sind ähnlich: Eine bessere Meinungsseite und im Lokalteil mehr Geschichten aus dem Osten, die der beständigen West-klientel sagen solle: „Wir führen dich da schon durch.“

Jetzt muß der Chefredakteur aber ein Fernsehinterview geben. „Wir dürfen nicht zu elegant werden“, sagt er noch. Die Lokalteile beider Zeitungen berichten an diesem Tag übrigens von herabfallenden Scheiben an den Galeries Lafayettes, einem der Glanzbauten des „neuen Berlin“. Die Konstruktion der Fassade habe die in Berlin extremen Temperaturschwankungen nicht ausgehalten, schreibt der Tagesspiegel. So kann es nämlich auch kommen.