NS-Richter logen sich ins Amt

■ Eine Doktorarbeit belegt, wie Seilschaften von Bremer Nazi-Juristen sich zurück an die Gerichte logen, während Justizsenator Spitta sekundierte / Nur einer von 12 Juristen am Sondergericht endete als Heizer

Nun ist belegt, wie Bremer Nazi-Juristen sich zurück ins Amt tricksten. „Die Richter logen bei der Entnazifizierung, verschwiegen Aktivitäten in nationalsozialistischen Gruppierungen, fälschten Eintrittsdaten in die NSDAP und SS und legten jede Menge oft ebenfalls unwahre Leumundszeugnisse vor“, sagt die promovierte Juristin Gabriele Rohloff. Manche dieser Zeugnisse seien sogar von Kollegen geschrieben worden, die selbst noch belastet waren. „Die Seilschaften funktionierten.“ Zugleich sei die amerikanische Militärregierung mit der Entnazifizierung wohl überfordert gewesen. Zudem hätten der zum ersten Nachkriegs-Landesgerichtspräsidenten berufene Dr. Lahusen und der damalige Justizsenator Theodor Spitta (SPD) sich aus verschiedenen Motiven gegenüber den Amerikanern für die Wiedereinsetzung ehemaliger NS-Juristen stark gemacht. Von denen wiesen zugleich alle zurück, jemals „Blutrichter“ gewesen zu sein – obwohl die amerikanische Militärregierung die Sondergerichte ursprünglich den SS-Polizeigerichten gleichgestellt hatte.

Die Lügen der Bremer Sonderrichter und -staatsanwälte entlarvt Gabriele Rohloff in ihrer jetzt als Buch erschienenen Dissertation im Detail*. Dafür hat sie – das ist eine deutsche Premiere – Einsicht in die Personalakten der Sonderrichter und -staatsanwälte genommen, die im Schnellverfahren vor allem „Volksschädlinge“ im Sinne des NS-Regimes aburteilten. In Kleinarbeit verglich Rohloff dafür die Angaben, die die Juristen in den offiziellen Fragebögen zur Entnazifizierung gegenüber den Amerikanern gemacht hatten, mit den tatsächlichen Sachverhalten, wie sie aus den Personalakten der Richter ungeschönt hervorgingen, die noch zwei Tage vor dem Einmarsch amerikanischer Truppen in Bremen ihr letztes Todesurteil gesprochen hatten.

Insgesamt verhängten die Bremer Sonderrichter in 562 Verfahren 55 Todesurteile, von denen 45 vollstreckt wurden. Dennoch fanden neun von zwölf Juristen am NS-Sondergericht wieder den Weg zurück in Amt und Würden.

So brachte es beispielsweise Sonderrichter Dr. Hinrichs bis zum Präsidenten des Bremer Oberverwaltungsgerichts. Der Hamburger Oberlandesgerichtspräsident Ruscheweyh bezeugte ihm schriftlich, dass „gegen seine politische Einstellung keine Bedenken bestehen.“ Im Personalbogen Hinrichs', der seit November 1933 SA-Mitglied war, stand dagegen schon 1935: „Seine nationalsozialistische Einstellung ist über jeden Zweifel erhaben.“ Auch Sonderstaatsanwalt Dr. Albrecht wurde nach Kriegsende nur als Mitläufer eingestuft – und brachte es später zum Leitenden Oberstaatsanwalt in Bremen. Sonderstaatsanwalt Dr. Zander, NSDAP-Mitglied seit Mai 1933, avancierte 1958 vom stellvertretenden Landgerichtspräsidenten zum CDU-Senator für Justiz und Kirchliche Angelegenheiten; andere seiner ehemaligen NS-Kollegen wurden Rechtsanwälte. Nur zwei Richter, Dr. Warneken und Dr. Schmidt, arbeiteten nicht mehr (lange) als Juristen. Sie erhielten ab 1946 bzw. 1949 Versorgungsbezüge – als dienstunfähig und Pensionär. Nur einer der Bremer NS-Juristen am Sondergericht, Richter Ellermann, endete als Heizer. „Das gibt mir ein wenig das Gefühl von Genugtuung“, bilanziert Gabriele Rohloff ihre Recherchen. „Diese Juristen waren alle belastet. Zum Sondergericht kam nur, wen die Nazis für politisch einwandfrei hielten. Keiner dieser Männer hätte wieder als Jurist arbeiten dürfen.“ Das Ausmaß, in dem die Sonder-Juristen füreinander – und sogar Dr. Lahusen für sie gutes Zeugnis – ablegten, habe sie erschüttert.

Dass Gabriele Rohloff diese Untersuchung überhaupt durchführen konnte, liegt – so meinen Experten – am geringen Unrechtsbewußtsein der NS-Juristen selbst. Diese hatten offenbar nie versucht, Unterlagen zu vernichten. Nur deshalb seien die Personalakten der mittlerweile verstorbenen Richter noch vollständig im Staatsarchiv erhalten – was bundesweit selten, wenn nicht einmalig ist. Aus den Akten geht auch hervor, dass gegen diese Juristen nach Kriegsende kaum jemand vorging. Wenn dies aber doch in Einzelfällen geschah, blieb dies folgenlos. „Diese Anzeigen wurden offenbar nicht weiter verfolgt“, beobachtete Rohloff. ede

*„Ich weiß mich frei von irgendeiner Schuld ...“, Gabriele Rohloff, www.pd-verlag.de , ISBN 3-930737-93-0 für 29,80 Mark.