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Pro und contra Volksentscheide

betr.: „Wie viele Stimmen fürs Volk?“, „Darf das Volk entscheiden?“, taz vom 4. 4. 00

[...] Daniel Haufler meint tatsächlich, Volksentscheide auf Bundesebene seien deshalb überflüssig, weil es diese Möglichkeit auf kommunaler Ebene bereits gibt und die Leute sonst überfordert wären. Das heißt: Über den Bau eines neuen Rathauses darf ich mitbestimmen, nicht aber über die wirklich lebensbestimmenden Dinge wie Atomenergie, Bundeswehr, Steuern etc.?

In dem zurzeit so verrufenen Österreich wurden Atomkraftwerke einst durch eben so einen Volksentscheid verhindert – ohne dass es jahrelanger „Konsens“-Gespräche der Parlamentarier bedurft hätte. ROLF STANGL, Aichhalden

[...] Die Frage nach der Kompetenz in den Vordergrund stellen, bedeutet direkte Demokratie nur aus Zweckmäßigkeit. Aber ob und in welcher Form sich ein Gemeinwesen für Demokratie entscheidet, ist eine staatspolitische Frage, eine der Gerechtigkeit, nicht der Zweckmäßigkeit. [...]

Von direkter Demokratie aber (auch) aus Zweckmäßigkeit Abstand zu nehmen ist legitim. Jedes Für und Wider einer Abstimmung müsste den Bürgern (und nicht nur einer Hand voll Parlamentarier) erklärt werden, will man, dass tatsächlich ein mündiges, also ein wissendes Volk entscheidet. Dafür gingen die Gelder flöten, die durch die „sparsamen“ Entscheidungen des Volkes frei werden sollen. Legte man die aufklärersiche Verantwortung in die Hände der Parteien und der Medien, erinnere man sich an den warnenden Zeigefinger von Theodor Heuss. Die Erfolge eines Populisten Haider, einer CDU-Unterschriftenaktion zur doppelten Staatsbürgerschaft oder einer „Kinder statt Inder“-Polemik zeigen, wie wenig mündig und rational „dasVolk“ ist und wie sehr beeinflussbar und ängstlich.

[...] Und eines sollte bei der Diskussion um direkte Demokratie auch nicht außer Acht bleiben: Volksabstimmungen begünstigen die Unterdrückung von Minderheiten. Parteien und Politik sind auf Kompromisse und Koalitionen angewiesen. Nur in einem Parteienstaat ist es möglich, dass eine Minderheit wie Bündnis 90/Die Grünen Teil der Regierung wird. Bei einer Volksabstimmung hätten deren Anhänger wegen der geringen Prozente erst gar nicht abstimmen brauchen. INA RICHTER, Leipzig

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