Schatten der Vergangenheit

■ Diese Woche startet mit Die Einsamkeit der Krokodile ein Film über die Unbill eines intel-lektuellen Lebens in der deutschen Provinz. Ein Interview mit dem Regisseur Jobst Oetzmann

Der in Hannover geborene Jobst Oetzmann, der seine Kindheit und Jugend in Ostwestfalen verbrachte, wo auch sein neuer Spielfilm Die Einsamkeit der Krokodile spielt, studierte Film und Fernsehspiel an der HFF in München. 1988 debütierte er mit Der Condor (mit Werner Stocker) und drehte viel fürs Fernsehen. Sein für den SWF inszeniertes Fernsehstück Duell der Richter wurde für den Grimme-Preis nominiert.

Der Debüt-Roman des Hamburger Journalisten Dirk Kurbjuweit: Die Einsamkeit der Krokodile (1995) beeindruckte Jobst Oetzmann so, dass er ihn unbedingt verfilmen wollte. Es ist die Geschichte der Recherche eines Journalisten (Janek Rieke) auf den Spuren des Schlachtersohns und dörflichen Außenseiters Günther (Thomas Schmauser). Vor kurzem erhielt Oetzmann für seine filmische Adaption den Bayerischen Filmpreis.

taz hamburg: Sie haben einen Roman adaptiert. John Le Carré sagte kürzlich, man müsse in so einem Fall als erstes das Buch aus dem Fenster werfen und sich dann erinnern, was darin stand. Wie sind Sie vorgegangen?

Jobst Oetzmann: Ich habe mir das gesamte Buch fotokopiert und dann nur gestrichen. Ich ordnete die verschiedenen Stränge nach Farben und baute sie dann wieder zusammen. Ein sehr erfahrener Dramaturg würde sich nur das herausholen, was er braucht. Ich war noch nicht so erfahren. Ich habe alles neu zusammengesetzt, wie bei einem Puzzle.

Was hat Sie nun an dieser Geschichte besonders interessiert?

Da ist jemand, der sagt, er will sein eigenes Leben wiederfinden. Er hat noch nichts Eigenes und interessiert sich für die Geschichte eines verlorenen Lebens. Darüber findet er zu sich selbst.

Einige der Charaktere sind etwas eindimensional. Haben sie dies als Gefahr gesehen?

An der Grundstruktur der Erzählung wollte ich nichts ändern. Es ist richtig, dass die Figuren sehr einfach gezeichnet sind, sehr eindimensional. Dennoch weiß man, was sie wollen. Wären das nun freundliche, wandelbare Leute gewesen, die sich dramatisch entwickeln, hätte das den Zuschauer auf eine falsche Fährte geführt. Deshalb wollten wir sie so strikt lassen. Das Schlimme ist ja, dass über all die 27 Jahre, die man die Leute begleitet, alles so gleich bleibt. Das ist ja der Horror.

Die beiden Hauptdarsteller Ja-nek Rieke und Thomas Schmauser verkörpern einen ähnlichen Typ, sind aber ganz unterschiedlich ...

Beide jungen Männer haben ja in Anführungszeichen ein ähnliches Leben, sind also im weitesten Sinne seelenverwandt. Das Tolle ist, das der Kontrast zwischen diesen beiden Schauspielern größer kaum sein könnte. Lustigerweise begegnen sich die beiden den ganzen Film über nie. Dennoch muss ihr Spiel ineinander greifen. Janek ist jemand, der sehr reduziert spielt. Bei Thomas dagegen ist es die große Geste, das große Drama, ohne falsche Hemmungen. Volle Kanone drauf. Thomas sagte immer, und das finde ich toll: Ich möchte diesem Günther eine Würde geben.

Die Schlachtszenen im Film wirken echt und sind ziemlich dras-tisch ...

Die Schlachtszenen stehen im Kontrast zur Entwicklung dieses kleinen Jungen. Er wohnt dem ja von klein auf bei. Wie wirkt das auf seine kleine Seele? Wir verdichten immer weiter auf sein Auge, bis wir wirklich drin sind, und auf dem Höhepunkt des Schnittes folgt auch der Schnitt in das Auge des Schweines. Da ist das Drama von Günther auf den Punkt gebracht.

Wie konnten Sie für dieses Drehbuch Produzenten begeistern. Das ist ja kein einfacher Stoff?

Ich war sehr vorsichtig und habe das Buch kaum angeboten. Einige hatten Spaß beim Lesen und sagten: Interessant, aber das ist nur ein Fernsehstück. Andere meinten: Wir haben für dieses Jahr aber schon einen Außenseiterstoff und möchten uns keinen zweiten aufhalsen. Dann geschah der Glücksfall mit der Olga Film, die unter anderem Der bewegte Mann und Mädchen, Mädchen gemacht hat. Das Buch gefiel ihnen, und sie machten es einfach. Bei einer Firma, die über nicht so viele Verbindungen und langjährige Erfahrungen verfügt, hätte ich einen sehr viel längeren Prozess durchmachen müssen.

Viele anspruchsvolle deutsche Filme wie Heidi M oder Sumo Bruno, in denen es auch um Außenseiter geht, finden in Deutschland nicht ihr Publikum. Woran liegt das?

Ich glaube nicht, dass die deutsche Kultur eine Stärke dabei hat, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Das hat viele historische Gründe. Dieses Drama fängt im Nationalsozialismus an. Ich glaube, dass man hier vorher deutlich konfliktfreudiger gewesen ist. Ich merke einfach, das liegt wie ein großer Schatten vor uns. Je weniger wir ihn wahrhaben wollen, umso stärker ist er da. Da hilft nur eins: zurück durch das Dunkel gehen und versuchen wieder Land zu sehen. Interview: Jörg Taszman

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