: Kaufleute und ihr Eigeninteresse
betr.: „Die Klassiker studieren“ von Michael Rutschky, taz vom 30. 5. 01
Es ist eine Unverschämtheit sondergleichen dieses Ex-Lesezirkel-Marxisten und jetzigen Salon-Smithianers, das eigene mangelhafte Marx-Verständnis diesem vorzuwerfen. Er hat wohl A. Smith ganz (?) gelesen bis auf die vielen (?) langweiligen Stellen. Dabei ist ihm wohl entgangen, dass A. Smith als Gegengewicht gegen die Kaufleute, die nur ihr Eigeninteresse verfolgen, aber ständig vom Vorteil der anderen reden, den das Allgemeine vertretenden Landesherrn stellt (zugegeben wohl etwas naiv, wie der Lauf der Geschichte zeigt), da „eine Gesellschaft von Kaufleuten ... offensichtlich unfähig (ist), sich selbst als Landesherr zu begreifen ... Sie betrachten nach wie vor den Handel oder den Einkauf von Waren, die sie wieder verkaufen, als ihre entscheidende Funktion, und in seltsamer Verkennung der Tatsachen sehen sie in der Aufgabe des Souveräns bloß ein Anhängsel zu den Pflichten des Kaufmanns, etwas was diesem untergeordnet werden soll.“ (A. Smith: Der Wohlstand der Nationen; München 1978, S. 538)
Marx war im Übrigen keineswegs dafür, das Eigeninteresse zugunsten eines allgemeinen Friede-Freude-Eierkuchen-Wohlwollens über Bord zu werfen. Er war sicher auch dagegen, A. Smith nicht zu lesen, und nennt ihn in seinen Theorien über den Mehrwert sogar genial, trotz der Widersprüche und Mängel, die er ihm nachweist. Aber wenn man täglich erstarrt vor dem Altar der blauen Bände betet, entgeht einem natürlich, dass Marx Worte und Kategorien von vielen Autoren übernommen hat, aber auf originäre Weise verarbeitet und in neue Zusammenhänge gestellt.
[...] Gerade die Trennung von Wirtschaft und Ethos ist eine Problematik, die bei Marx einen zentralen Stellenwert besitzt; siehe besonders die ökonomisch-philosophischen Manuskripte. Denn wenn der eine Teil des privaten Vorteilgelabers ausgeplündert im Rinnstein liegt, kann der Gewinner, „das Erbarmen oder das Mitleid, das Gefühl, das wir für das Elend anderer empfinden“, voll auskosten und im Hochgefühl seiner außerordentlichen Menschenliebe dem Bettler einige kleine Münzen zuwerfen. [...]
ARNO LINDEMANN, Frankfurt am Main
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen