Gelegenheit macht Liebe

Hamm war nicht Hamlet, die Frauen waren schön, und der Whiskey schmeckte immer: In seiner Biografie findet James Knowlson sehr nahe an den stolzen und scheuen Samuel Beckett heran

Beckett hat stets auf einer absoluten Trennung von Werk und Leben bestanden

von JÜRGEN BERGER

Die Ente hat er nie wirklich geliebt. „Ein hässliches, schneckenhaftes kleines Biest und zickig noch dazu“ sei sie, schrieb er in einem Brief kurz vor Weihnachten 1959. Und dann auch noch das: Bei starkem Gegenwind konnte man nicht einmal in den vierten Gang hoch schalten.

Als Samuel Beckett nach langer Abstinenz doch wieder die Straßen verunsichern wollte und sich den Deuxchevaux kaufte, war er 53 Jahre alt und hatte die Strecke von Paris zu seinem kleinen Landhaus in Ussy im Marnetal bis dahin mit dem Zug zurückgelegt. Das unscheinbare Haus war sein Refugium. Hier schrieb er in klösterlicher Abgeschiedenheit, während er weniger klösterlich zum Whiskey griff und durch sein Schreibtischfenster beobachtete, wie die Maulwürfe den Vorgarten in eine Mondlandschaft verwandelten. Dass er selbst wieder ein Auto steuern wollte, gab Anlass zu größter Sorge im Freundeskreis. Man erinnerte sich zu gut, dass er in Jugendjahren rund um Dublin mehrere Unfälle verursacht hatte. Bald jedoch konnte Entwarnung gegeben werden. Lediglich die Pariser Strafzettel wegen Falschparkens häuften sich.

Becketts Frau Suzanne war zu diesem Zeitpunkt nur selten in Ussy. Etwas später überließ sie dieses Terrain ganz Beckett. In Paris hatte das Paar gerade eine kleine Wohnung aufgegeben, in der es Jahrzehnte in eher ärmlichen Verhältnissen gelebt hatte. Eine größere Wohnung mit zwei getrennten Bereichen und Eingängen musste her. Gesellschaftliche Verpflichtungen häuften sich, 1959 wurde Beckett zum Ehrendoktor des Trinity College in Dublin ernannt. Der stolze und scheue Mann hasste Öffentlichkeit, einigen Verpflichtungen konnte er aber nicht aus dem Wege gehen. In der Regel erholte er sich von solchen „Zumutungen“, indem er mit Freunden heftig dem Alkohol zusprach. Kam er dann früh morgens heim, ließ die eigenwillige Frühaufsteherin Suzanne ihn durch lautes Werkeln wissen, was sie von den nächtlichen Eskapaden hielt.

Getrennte Wohnbereiche mussten allerdings auch deshalb sein, weil die beiden Probleme hatten. Im Raum stand, dass Becketts Dauerverhältnis Barbara Bray – BBC-Skripteditorin – nach Paris zog. Die Lage spitzte sich zu. Plötzlich heiratete Beckett 1961 dann aber doch Suzanne Georgette Anna Deschevaux-Dumesnil, nachdem die beiden mehr als zwanzig Jahre ohne Trauschein zusammengelebt hatten. Beckett betonte immer wieder, eigentlich habe er seinen Erfolg ihr zu verdanken. „Warten auf Godot“, das den Durchbruch bedeutete, würden wir heute unter Umständen nicht kennen, wäre Suzanne nicht mit dem Manuskript von Verlagstür zu Verlagstür gezogen. Die späte Heirat hatte auch damit zu tun, dass Beckett für den Todesfall seine Autorenrechte geklärt haben wollte. Anders als noch während des Krieges und in der Nachkriegszeit war er kein Hungerleider mehr und auf dem besten Weg, berühmt zu werden. Bis zum Literatur-Nobelpreis, zu dessen Verleihung am 10. Dezember 1969 er nicht erschien, verstrichen zwar noch einige Jahre.

Ansonsten aber häuften sich die Ehrungen und Preise. Kurz vor der Heirat lud Siegfried Unseld in Frankfurt zu einer kleinen Feier: Theodor W. Adorno wies in einem langen Vortrag nach, dass der Hamm im „Endspiel“ sich von Hamlet herleite. „Das ist der Fortschritt der Wissenschaft, dass die Professoren mit ihren Irrtümern weitermachen können“, hatte Beckett daraufhin Unseld ins Ohr geflüstert.

Diese Anekdote gehört zu den Episoden, die James Knowlson in seiner Biografie genüsslich ausbreitet. Der Romanist, Beckett-Spezialist und Begründer des Beckett-Archivs in Reading ergänzt damit die Arbeit von Deirdre Bair, die sich bereits Ende der Siebzigerjahre mit der Lebens- und Werkgeschichte des Jahrhundert-Autors in die Weltliga des Literaturbetriebs geschrieben hat.

Die Voraussetzungen könnten unterschiedlicher nicht gewesen sein: Bair musste akzeptieren, dass Beckett sich während der Gespräche Tonbandmitschnitte und Notate verbat. Also schrieb sie im Hotelzimmer alles Besprochene aus dem Gedächtnis nieder. Knowlson dagegen hatte alle Unterlagen zur Verfügung und ist auch der Erste, der Becketts Tagebücher und Briefe auswerten konnte. Er füllt Lücken und lässt vor allem Becketts letzten Lebensabschnitt in den Achtzigerjahren lebendig werden, den Bair noch gar nicht im Blick haben konnte.

Die beiden Biografien unterscheiden sich noch in einem weiteren Punkt. Die amerikanische Literaturprofessorin Deirdre Bair schreibt journalistischer und unterzieht Becketts Romane, Theaterstücke und experimentelle Texte einer hermeneutischen Betrachtung. Knowlson hält sich da eher zurück und vermeidet textimmanente Interpretationen. Damit handelt er sich allerdings ein Problem ein, das vor allem seine Beschäftigung mit Becketts Jugend- und Studienjahren am Dubliner Trinity College überschattet. In diesen Passagen stellt Knowlson Verbindungen zwischen kleinsten biografischen Details und dem späteren Werk Becketts her. Das wirkt immer wieder komisch. Vor allem aber ist es auch inkonsequent, da Knowlson selbst betont, Beckett habe in Gesprächen auf einer absoluten Trennung von Werk und Leben bestanden.

Der Biograf riskiert, dass man im ersten Drittel seiner mehr als 1.100 Seiten langen Biografie entnervt das Lesen einstellen möchte. Würde man das tatsächlich tun, wäre es überaus misslich. Tatsächlich ist Knowlson, abgesehen von seiner biografiefixierten Interpretationsmanie, ein leichtfüßiger Erzähler, der mit britischem Understatement Dinge ausbreitet, von denen man bisher so noch nicht wusste. Dazu gehört, dass Beckett nicht nur in Jugendjahren (das war bekannt), sondern Zeit seines Leben immer wieder zwanghaft zum Alkohol griff. Und dazu gehört außerdem, dass er bis ins Alter Verhältnisse mit schönen und intelligenten Frauen hatte, auch körperlich. Man lernt das Monument der klassischen Moderne auf ganz andere Weise kennen. Beckett gewinnt Konturen und ist mehr als der verschlossene und nur auf sein Werk konzentrierte Heroe einer vermeintlich hermetischen Literatur.

Knowlson führt sehr nahe an Beckett heran, ohne eine voyeuristische Lesart zu unterstützen. Immer wieder folgt er biografischen Strängen, die man zwar schon kannte, die er aufgrund der Fülle seiner Quellen aber um interessante Details bereichert. Dazu gehört, welch große Probleme Beckett mit der Bigotterie seiner Mutter May und den klerikalen Unterdrückungsmechanismen Irlands hatte – und dass er wohl genau deshalb zum Agnostiker wurde und ein waches Frühwarnsystem für Zensur entwickelte. Interessant wird das, wenn Knowlson in späteren Lebensabschnitten detailliert beschreibt, dass Beckett zum Beispiel Aufführungen seiner Theaterstücke im südafrikanischen Apartheid-Regime untersagte, sofort aber Ausnahmen machte, wenn ein Theater mit gemischten Ensembles arbeitete und Farbige zu den Vorstellungen zuließ.

Es ließen sich noch viele solcher Details anführen, ohne dass man – wie Knowlson das manchmal unterläuft – zu häufig Becketts Hilfsbereitschaft gegenüber Verwandten, Freunden, in Not geratenen Künstlern und Schriftstellern betonen müsste. Knowlson spart allerdings auch ansonsten nichts aus und liefert jedem Beckett-Maniac eine Fülle neuen Materials, sodass man jetzt unter anderem bis ins Kleinste nachvollziehen kann, warum Beckett mehr und mehr zum Regisseur seiner Stücke wurde und hauptsächlich am Berliner Schiller Theater inszenierte: Es kamen immer wieder Hilferufe aus den Theatern, da Regisseure oder Schauspieler mit den musikalischen Strukturen seiner Texte nicht zurechtkamen; er entwickelte aber auch den Ehrgeiz, zu jedem seiner Stücke eine exemplarische Inszenierung zu hinterlassen.

Einige Episoden lässt Knowlson weg, weil sie schon Raum in Deirdre Bairs Biografie eingenommen haben. Dazu gehört der unfreiwillige Fastsuizid Becketts, als der in seinen frühen Pariser Jahren mit der damaligen Gefährtin Peggy Guggenheim einmal mehr eine Sauftour unternahm und sich in der Drehtür des Hotels Riz beinahe schier selbst erdrosselte. Das war Ende der Dreißigerjahre. Peggy wollte den wortkargen und mit sarkastischem Humor begnadeten Iren an sich binden. Sam hatte allerdings bereits Suzanne kennen gelernt. Was allerdings noch schwerer wog: Er hatte immer noch nicht den Tod einer anderen Peggy verkraftet – den Tod seiner ersten Liebe Peggy Sinclair, der Kusine aus Kassel, wegen der er ausgiebig das präfaschistische Deutschland der späten Weimarer Republik bereist hatte.

Ende der Dreißigerjahre näherte Beckett sich auch wieder James Joyce. Zu Unstimmigkeiten war es gekommen, als Joyces Tochter Lucia mehr von Beckett wollte, als der zu geben bereit war. Eine Pariser Zeit, die insofern entscheidend war, als Beckett in Abgrenzung zu Joyce nach eigenen literarischen Wegen suchte. Wie lange dieser Prozess gedauert hätte, wäre die Pariser Irish Community nicht durch Hitler-Deutschland zur Flucht gezwungen worden (Beckett arbeitete für die Résistance und setzte sich nach Südfrankreich ab), wissen wir nicht.

Sicher dagegen ist, dass Beckett in seiner Literatur Zeit seines Lebens damit kämpfte, dass zwischen imaginierter Innenwelt und vermeintlich objektiver Außenwelt keine Verbindung besteht. Seine Figuren, ob sie nun Watt oder Mercier, Krapp oder Clov, Winnie oder Joe heißen, sind Vergeblichkeits-Clowns. Ihr Witz besteht darin, dass ihr Scheitern keinen tieferen Sinn hat – sieht man einmal davon ab, dass sie allen Subjektivitätstheorien von der Aufklärung bis in die Moderne widersprechen. Damit war Beckett heutigen Erkenntnissen der Hirnforschung nahe, wonach unser Zentralorgan sich in lose vernetzten Bedeutungsarealen organisiert und dabei anscheinend wie ein autonomer Organismus eine eigene Welt erschafft. „feiner abgrund des Nichts / am Ende welcher Wachsamkeit / glaubte das auge / undeutlich leichte Bewegung zu sehn / der Kopf beruhigte es, sagte / es war nur im kopf so“, schrieb Beckett in einem späten Gedicht Anfang der Achtzigerjahre. Gestorben ist er am 22. Dezember 1989 in einem kleinen Altersheim nahe der Wohnung am Boulevard Saint-Jacques. Er war 83 Jahre alt. Fünf Monate zuvor war Suzanne gestorben. Davor hatte er Angst gehabt: alleine zurückzubleiben und nichts mehr wieder gutmachen zu können.

James Knowlson: „Samuel Beckett“. Aus dem Englischen von Wolfgang Held. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2001, 1.116 Seiten, 98 DM