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Es darf gelacht werden

betr.: „Der Konformist“ (Harald Schmidt), taz mag vom 23. 6. 01

Die zitierten Schlüsseltermini zur Charakterisierung von Harald Schmidt, „famoser Unterhaltungskünstler“ (Joseph von Westphalen) bzw. „Kunstfigur“ (Harald Schmidt), könnten, wenn man sie denn einfach stehen ließe, die ganze leidige Diskussion versanden lassen. Woher kommt diese Sehnsucht, Harald Schmidt als Ganzes greifen oder kategorisieren zu können? Liegt nicht gerade in seiner Evasivität, Ambiguität und Unberechenbarkeit der wahre Reiz? Wer will schließlich wissen, ob und wann er in einer Talkshow oder in seiner eigenen Show eigentlich ehrlich ist? Hier wie dort schalte ich um oder ab, wenn er mich langweilt. So einfach ist das.

Von einem künstlerisch Tätigen erwarte ich eine schizophrene oder infinit multiple Persönlichkeit. Für einen Künstler wie Harald Schmidt ist es sicher angenehm, eine ganze Bandbreite von Alter Egos und Kommunikationsmodi (Ironie, Koketterie, Persiflage etc.) bereitzuhalten, derer man sich je nach Kontext bedienen kann. Ob er seinen Part nun nur spielt oder nicht, ist doch völlig sekundär. Und es ist seine Entscheidung, ob er die Rollen des Kirchenfeindes oder Bundeswehrhassers dazurechnen möchte. (Außerdem wäre es noch eine Art Werbung, wenn sich Harald Schmidt zu solchen Gähnthemen wie Bundeswehr oder Papst äußern würde.) Ich möchte nicht von jemandem unterhalten werden, der politisch korrekt und unverrückbar wie ein deutscher Eichenschrank auf irgendeinem moralischen Parkett steht und damit seine künstlerischen Aktivitäten relativiert. Oder lautet die Grundsatzfrage des Artikels eher „wer sind die Guten im Land“ oder „wem verdanken wir unsere Freiheit“ (welche Freiheit?)?

Harald Schmidt fungiert als Katalysator oder Medium: Es darf gelacht werden, muss aber nicht. Man lacht nicht immer, weil es gerade so lustig war. Manchmal lacht man aus Verlegenheit oder mit dem Nachhall, dass man sich ja über dieses oder jenes Problem später mal Gedanken machen könnte. Aber ohne Verpflichtung, ohne den Aufruf zur Unterschriftensammlung für einen guten Zweck. Es wird ein werteneutraler Freiraum geboten, in dem die Vergänglichkeit des Augenblicks zelebriert wird. Ist Harald Schmidt gar so eine Art Zenmeister? [...] EVELYN WITT, Hamburg

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