: Wohin des grünen Wegs?
Das Musterschüler-Syndrom und das Debakel an der Wahlurne: In der GAL beginnt die Diskussion über Profile und Personen ■ Von Sven-Michael Veit
Wer nichts mehr zu verlieren hat, kann offen sprechen: „Jetzt sind wir also da, wo sich mancher von uns einige Male heimlich hingewünscht hat – in der Opposition“, stellte Axel Bühler fest. Der GAL-Bürgerschaftsabgeordnete, der zur Wahl am Sonntag freiwillig nicht erneut kandidierte, nahm auf der Mitgliederversammlung der Grünen im Hamburg-Haus kein Blatt vor den Mund.
Schuld am Wahl-Debakel sei „das Musterschüler-Syndrom“ der GAL. In der rot-grünen Koalition „haben wir zu fair und zu kooperativ Politik gemacht und sind dafür von der SPD über den Tisch gezogen worden“, so Bühlers Befund am Dienstagabend. Zwar hätten die Grünen „manche Erfolge erzielt, aber jetzt einen zu hohen Preis gezahlt“. Er wolle keineswegs „eine Führungsdebatte vom Zaun brechen“, lächelte der als Realo geltende süffisant vom Rednerpult auf die vor ihm sitzende Führungsriege um Bürgermeisterin Krista Sager herunter, „aber die personelle Kontinuität müssen wir in Frage stellen“. Und der überwiegende Teil der etwa 200 Grünen spendete dem scheidenden Energiepolitiker nachhaltigen Beifall.
Zuvor hatte Spitzenkandidatin und Chef-Reala Sager die Klatsche an der Urne damit begründet, „dass unsere grünen Themen leider keine Bewegungsthemen mehr sind“. GAL-Wählerinnen hätten „unsere Erfolge als zu selbstverständlich hingenommen“. Zudem fehle der Partei „ein strategisches Zentrum, das Konzepte früh und klar genug entwickelt“. Ihre Folgerung sei, dass die GAL „künftig das Thema Sicherheit besetzen muss“.
Eine Kerbe, in die auch ihr Vetrauter Kurt Edler hieb. Die GAL habe sich „zu sehr mit Kritik an der Polizei beschäftigt, statt zu fragen, welche Missstände die Bürger stören“, glaubt der Parteichef. Die Analyse der Wahlergebnisse habe ein alarmierendes Bild ergeben. Danach hat die GAL drei Prozent ihrer 97er WählerInnen an die SPD verloren und nur ein halbes Prozent an den Regenbogen – aber 0,75 Prozent ehemaliger Grün-WählerInnen sind zu Schill gewechselt. Deshalb gelte es nun, folgerte Edler, „die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit zu finden“.
Eine Aussage, die heftigen Widerspruch auch aus dem eigenen Flügel provozierte: „So einen Unsinn habe ich lange nicht gehört“, ereiferte sich Willfried Maier, „mehr Schill in der GAL ist strategisch grundfalsch.“ Vor seinen vier Jahren als Stadtentwicklungssenator galt Maier als Chef-Denker der Realos, nun scheint er dort wieder anknüpfen zu wollen.
Die nach dem Auszug des Regenbogen in der GAL verbliebenen Linken um Parteichefin Antje Radcke, Fraktionschefin Antje Möller und Umweltsenator Ale-xander Porschke hielten sich auf der Versammlung auffällig zurück und schauten dem Flügelschlagen der Realos mit Interesse zu. Einzig Möller, die vermuteten Ambitionen Krista Sagers zum Trotz erneut Fraktionschefin werden will, setzte sich nachdrücklich in Szene. Die real-regierende GAL „hat bei den Inis, den Gruppen und Projekten viel Vertrauen und Unterstützung verspielt“. In den bevorstehenden Jahren der Opposition „müssen wir mit glaubwürdiger Politik in die Mitte zurück“, forderte Möller nun, „in die Mitte unserer früheren Basis“. Weiterer Bericht Seite 10
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen