schwarze taz
: Yasmina Khadra seziert die Zustände in Algerien

Mit beiden Beinen im Grab

Ein Offizier der algerischen Armee, nebenbei ernst zu nehmender Schriftsteller, entschließt sich, Kriminalromane zu schreiben und diese unter einem weiblichen Pseudonym zu veröffentlichen. Seine Bücher beschreiben die gegenwärtigen Zustände in Algerien, einem Land, in dem die schlimmsten Plagen des 21. Jahrhunderts um die Vorherrschaft kämpfen: Religiöser Fundamentalismus, autoritärer Staat und gut situierte Kriegsgewinnler. Dann deckt er sein Pseudonym auf – und muss ins französische Exil ausreisen.

Yasmina Khadra alias Mohammed Moulessehoul hat den Versuch unternommen, die barbarischen Zustände der heimatlichen Gesellschaft zu sezieren. Die zentrale Figur in seiner Krimi-Trilogie ist ein unermüdlich kämpfender Polizist: Kommissar Brahim Llob schlägt sich mit bestialischen Morden, perversen Racheakten und gemeingefährlichen Attentaten herum. Man kann nicht direkt behaupten, dass er bei seinen Ermittlungen zielstrebig vorgeht. Das ist in einer Umgebung, deren soziale Strukturen sich auflösen, kaum möglich.

Llob tastet sich durch den Morast einer Gesellschaft, in der zivilisierte Verhaltensformen geradezu exzentrisch anmuten. Kein Wunder, dass in dieser Welt der Ton rau ist und die Ermittlungsmethoden mehr als rabiat. Aber von ihm und seinen Kollegen zu behaupten, sie stünden mit dem Rücken zur Wand, ist maßlos untertrieben. Jeder, der sich im Algerien unserer Tage um Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Freiheit sorgt, steht mit beiden Beinen im Grab.

Ist Kommissar Llob also ein Zyniker? Nein, der Mann arbeitet in einer absolut hoffnungslosen Situation daran, sie zu verbessern. Er ist Patriot. Er weiß, wie Algier früher war, bevor es seine Seele verloren hatte. Sarkastisch ist er, aber er glaubt trotz allem an seine Mission. Er ist praktizierender Muslim, trotz des Missbrauchs seiner Religion durch eiskalt kalkulierende Fanatiker. Er weiß, dass ein Menschenleben das höchste Gut ist, auch wenn er auf sein eigenes keinen Pfifferling gibt.

In „Morituri“ soll Llob einen wahnsinnigen Terroristen namens Abou Kalybse enttarnen. Als es ihm gelingt, ist die Wahrheit schmerzlicher, als jede Notlüge es gewesen wäre. In „Doppelweiss“ schleppen sich chaotische Ermittlungen über einen undurchsichtigen Mordkomplott richtungslos dahin, bis sich plötzlich herausstellt, dass der ganze blutige Wahnsinn einen sehr rationalen Hintergrund hat. Im letzten Teil der Trilogie mit dem Titel „Der Herbst der Chimären“ muss Kommissar Llob aus dem Polizeidienst ausscheiden, weil es zu viele Interessengruppen gibt, denen er im Weg steht – und weil er Kriminalromane über die ihn umgebenden Verhältnisse geschrieben hat.

Yasmina Khadras tiefschwarze Krimis sind anders als herkömmliche Genreliteratur. Die Aufklärung der Verbrechen wird in diesen Geschichten nicht als Erfolg verbucht, weil die Maschinerie des Wahnsinns, gespeist und geschmiert aus vielerlei dunklen Quellen, weiterläuft. Die Bücher führen vor, wie schnell eine Gesellschaft vor die Hunde gehen kann und wie unendlich schwer es dann ist, die letzten Überreste der Zivilisation zu retten. Vor allem aber analysieren sie die Ursachen der algerischen Krise: „Es handelt sich um die Machenschaften einer Mafia, um regelrechte Plünderungen und um ein staatliches Verbrechertum.“ ROBERT BRACK

Yasmina Khadra: „Morituri“. Aus dem Französischen von Bernd Ziermann und Regina Keil-Sagawe. Unionsverlag, Zürich 2001, 156 Seiten, 16,90 DM;„Doppelweiss“. Aus dem Französischen von Regina Keil-Sagawe. Haymon, Wien 2001, 158 Seiten, 29,80 DM;„Herbst der Chimären“. Aus dem Französischen von Regina Keil-Sagawe, 157 Seiten, 29,80 DM