: Eine müsste es sagen
betr.: „Weg mit der EU!“, taz vom 17. 12. 01
Zwischen Donnerstag, 13. 12., und Samstag, 15.12., haben insgesamt deutlich über 100.000 Menschen den Weg nach Brüssel gefunden, um unter unangenehmsten Bedingungen ihrem Protest gegen die Politik der EU Ausdruck zu verleihen. In dem Artikel über die Konferenz zur Bildung einer internationalen Jugendkampagne an der freien Universität Brüssel werden die Teilnehmer als größtenteils naive Schüler dargestellt. Sicherlich kann man über den Realitätssinn dieser Konferenz streiten. Trotzdem gibt es genügend vorgebrachte Kritikpunkte, die absolut wichtig und richtig sind, ob es nun um EU-Einwanderungspolitik, Bildungspolitik, Privatisierung oder um Abbau von Bürgerrechten geht. Die Tatsache, dass sich diese jungen Leute so für ihre Überzeugung einsetzen, verdient Anerkennung. Schließlich haben sich die Damen/Herren Altlinken nicht erst einmal über die konsumgeile, unpolitische heutige Jugend ausgelassen.
Am Samstag fand neben der Konferenz in der Innenstadt von Brüssel eine angemeldete Anarchisten-Street-Party statt. Diese Demonstration verlief sehr friedlich, es kam zu keinen nennenswerten Auseinandersetzungen mit der Polizei. Dennoch wurden am Rande der Demonstration eine große Zahl von Demonstranten festgenommen. Diese Festnahmen erfolgten nahezu ausschließlich in völlig unkritischen Situationen und wurden von Zivilpolizisten durchgeführt. Auch ich wurde festgenommen. Hierzu gab es keinerlei Anlass, außer, dass ich mich in der Nähe einer angemeldeten Veranstaltung befand und nach Ermessen der Polizei eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellte. Mit mir wurden 15 andere teilweise unter Gewaltanwendung festgenommen. Alle wurden mit einem Polizeibus in eine Polizeikaserne gefahren und dort in Sammelzellen mit ca. 25 anderen eingesperrt. Die Inhaftierten wurden größtenteils zwölf Stunden festgehalten und dann in den frühen Morgenstunden entlassen. Keiner der Insassen meiner Zelle hatte irgendwelche Vorwürfe gegen sich vorgetragen bekommen und keinem wurden Ermittlungsfragen gestellt. Unterschrieb man seine Inventurliste der in Gewahrsam genommenen Gegenstände nicht schnell genug, wurde kurzerhand die Unterschrift von einem Beamten gemacht. Alle Festgenommenen wurden notfalls gewaltsam gezwungen, sich fotografieren zu lassen, was ohne Tatvorwurf nicht zulässig ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Fotos mit den festgestellten Personalien dazu führen, dass man zum nächsten Gipfel dieser Art gar nicht erst in das betroffene Land gelassen wird, ist sehr hoch.
Die Tatsache, dass Menschen ohne Grund festgenommen werden und ihr Demonstrationsrecht derart eingeschränkt wird, geht alle etwas an, es hat lange genug gedauert, diese Rechte zu erkämpfen. Da die taz immer so schön von sich selbst sagt: „eine muss es ja sagen“, wäre es bei solchen Vorgängen gut, wenn sie es täte. WASILIS VON RAUCH, Berlin
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