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HipHop- und andere Bewegungsaufnahmen

■ Wo ist hier: Der Hamburger Fotograf André Lützen und die „Generation Boul Fale“

1997 fuhr André Lützen mit einem Reisestipendium in der Tasche nach Marseille, um die dortige Hip-Hop-Szene in Augenschein zu nehmen. „Daraus ergab sich die Verbindung mit Dakar“, sagt der Hamburger Fotograf. „Viele Musiker, die ich kennen gelernt habe, kamen in der zweiten und dritten Generation aus Westafrika.“ Es folgten mehrere Aufenthalte in der südfranzösischen Metropole sowie in der senegalesischen Hauptstadt mit ihrem Ruf als afrikanische HipHop-Kapitale.

Einer Verbindung der beiden Schauplätze widmet sich Lützen in einer zurzeit in Krefeld gezeigten Ausstellung, die im Laufe des Jahres auch in Hamburg gastieren soll; für Interessierte gibt es schon vorab den dazugehörigen Katalog. Generation Boul Fale, zu Deutsch etwa „Sorglose Generation“, geht es dabei nicht um die Frage nach der Vereinbarkeit von Tradition und westlicher (Pop-)Moderne – und schon gar nicht um die Beziehungen zwischen afro-französischen HipHoppern und ihrer vermeintlichen Heimat. „So viel Wurzelgeschichte wollte ich dann doch nicht betreiben“, sagt Lützen.

Im Ausstellungsraum präsentiert er seine Farb- und Schwarzweißfotos sowie Videostills in zwei parallelen Bildstreifen, die einander kommentieren und ergänzen: Montagetechniken, dem Film entlehnt wie der Musik. Vergleichsweise linear, auf den einen Strang der Seitenabfolge beschränkt, funktioniert da die Buchfassung. „Es ist in der Fotografie, die jetzt in Museen und Galerien und auf Kunstmärkten zu sehen ist, ja eher die Funktion des großen stillen Bildes zurückgerufen worden“, sagt Lützen, „was mich überhaupt nicht interessiert – eher die Verknüpfung und das Wechselspiel von Bildern, das Zusammenarbeiten“. Die verwischten und beschnittenen Konzert-, Studio- oder Straßenszenen, Momentaufnahmen von Arbeit oder auch ihrem Mangel zielen dabei nicht auf Authentizität, die im einführenden Katalogtext als „Chimäre“ bezeichnet wird. Lützens Arbeit inszeniert weder edle Straßenecken-Wilde, noch liefert sie Bilder aus Europas sozial segregierten Banlieues.

„Ich denke, dass Dokumentarfotografie sich mehr zu einer Vision der Person, die damit arbeitet, entwickeln sollte“, sagt er, und im Buch heißt es: „Das Medium der Reportage ist tot.“ Und schließlich geht es nicht um Cultural Studies am lebenden Objekt HipHop. Lützens essayistischer Ansatz lässt ihn genauso vom Hier und Dort erzählen, von tatsächlichen wie imaginierten Orten und von Geschichten, die Menschen einander schaffen. Seien sie gerappt oder vor weißen Kameras in Szene gesetzt.

Alexander Diehl

André Lützen, Generation Boul Fale, Das Wunderhorn 2001, 128 S. mit 67 Abb., 34,90 Euro

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