: Hauptsache billig
betr.: „Lasst mich da ran!“ (Krise bei der Bundesanstalt für Arbeit), taz vom 23. 2. 02, „Die Offensive der Marktanbeter (Job-Aqtiv-Gesetz) von Gaby Gottwald, taz vom 25. 2. 02
Warum wird dieser „Skandal“ gerade imWahljahr öffentlich? Warum Jagoda in diesem Augenblick fallen gelassen? Schröder konnte sich dabei gerade noch rechtzeitig in Szene setzen. Pech für Stoiber.
Erneut kann sich Schröder als Macher präsentieren und davon ablenken, dass sich bei den Arbeitslosenzahlen während seiner Regierungszeit nicht viel getan hat. Wie auch? Der Kapitalismus erweist sich als sehr effizient. Er schafft eine immer größer werdende chronische Unterbeschäftigung, der weder mit Keynes noch mit Friedman beizukommen ist. Schlecht für Macher wie Stoiber und Schröder.
Doch der neue Aktionismus in Sachen Arbeitsamt lässt aufhorchen: die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe, die geplante Reinigung der Statistiken von nicht „wirklich“ Arbeitssuchenden, fehlende Steuereinnahmen aufgrund der Steuerbefreiung von Konzernen, Maastrichthöchstgrenzen der Neuverschuldung, teure Umrüstung der Bundeswehr in eine Kriseninterventionsarmee – diese Mischung wird in den nächsten Jahren dafür sorgen, dass im Sozialstaat weitere Einschnitte „nötig“ werden.
Der Druck auf ehemals Erwerbstätige muss und wird folglich steigen, da kommt die Möglichkeit der Umgestaltung des trägen Arbeitsamts gerade recht. Schließlich ist man sich Partei übergreifend einig, dass der (ver)sorgende Sozialstaat der Geschichte angehört und durch einen aktivierenden Sozialstaat ersetzt werden soll. Hauptsache billig. WINFRIED THIESSEN, Marburg
Was genau sind Lohnnebenkosten? Warum akzeptiert man das New-Speech-Wort „flexibilisieren“ und spricht nicht von „destabilisieren“. Wieso fällt niemandem auf, dass mit Lohnnebenkosten auch ein Großteil des Dienstleistungbereichs wie das Gesundheitswesen finanziert wird, dass Arbeitslosengeld und Renten die Nachfrage stützen (die Werbung scheint es schon kapiert zu haben).
Wer stellt den Zusammenhang zwischen der doch weitgehend schon destabilisierten Arbeitswelt und den Ergebnissen der Pisa-Studie her, der Zunahme von Angst und Desorientierung mit ihren Folgen für die Familien. Soziopsychosomatische Erkrankungen nehmen zu, das Mobbing am Arbeitsplatz floriert, begleitet von der Angst, sich Auszeiten (sprich Krankheitstage) zu nehmen, um sich zu regenerieren. Entnervte Eltern flüchten sich in Ersatzbefriedigungen wie Fernsehen, Computerspiele etc., weil sie immer weniger Energie haben, sich auf ihre Kinder einzulassen.
Schlimmer als das Fälschen von Statistiken finde ich, dass offensichtlich viele Arbeitslose am Arbeitsamt gedemütigt werden, eher entmutigt als ermuntert.
Bitte outet doch auch mal, von wem welche Experten und Institute finanziert werden, die in den Talkshows auftreten, damit man weiß, wessen Sprachrohr sie sind, für wen sie sich prostituieren. […] Dann sieht man, dass sich selbst als Revolutionär bezeichnende Experten in Wirklichkeit stockkonservativ sind, die immer noch die seit Jahrzehnten unbewiesenen Behauptungen vom Nutzen der Flexibilisierung behaupten. Flexibilisierung ermöglicht es ja auch, durch flexiblen Arbeitereinsatz Stellen einzusparen. Auch erwähnt kaum einer, dass durch die Vernichtung von Geld auf dem Finanzmarkt, viel Geld der Produktion entzogen wurde und dort nun fehlt. HEINZ DE MOLL, Wuppertal
Mit dem Abbau des zweiten Arbeitsmarkts und dem Einstieg in die systematische Förderung von Niedriglohnjobs beginnt eine neue Epoche des Sozialabbaus. Mag sein, dass man so den einen oder anderen Niedriglöhner vermitteln kann.
Im Gesamtergebnis dürften die zusätzlichen Vermittlungen im Niedriglohnbereich eine zu vernachlässigende Quantität darstellen. Die Höherqualifizierten unter den Arbeitslosen, von denen es eine Menge gibt, werden davon nicht profitieren, geraten sie doch ohne zweiten Arbeitsmarkt zunehmend in die Dequalifizierungsspirale, amerikanisch-neusprachlich auch „Downsizing“ genannt.
MICHAEL HEINEN-ANDERS, Troisdorf
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