Sozialpalast

Der französische Publizist Charles Fourier (1773–1837) begründete die Forderung nach lebenswertem Wohnraum. Seine Kommune „Phalanstère“ war als Ort der Selbstverwirklichung jenseits von Ehe und Kleinfamilie gedacht. Der Idealentwurf gleicht äußerlich dem königlichen Versailles. Fourier wollte die Form des gebauten Herrschaftszeichens buchstäblich dem Volk übereignen.

Heinrich Heine wunderte sich über die ärmliche Erscheinung Fouriers. „Das würde nicht in Deutschland passieren“, belehrte ihn ein Freund. „Die Regierung würde bei uns Leute von solchen Grundsätzen gleich unter ihre Obhut nehmen und ihnen lebenslänglich freie Kost und Logis geben.“

Zwischen 1859 und 1877 schaffte ein Anhänger Fouriers, der wirtschaftlich erfolgreiche Ofenfabrikant Jean Godin (1817–1888) mit der „Familistère“ in Guise sichtbare Tatsachen. Der „Palais Social“ für insgesamt 465 Familien besteht aus drei großen Baukörpern mit zentralen, glasüberdeckten Innenhöfen, von denen aus die Wohnungen über Laubengänge erschlossen werden.

Godins Motivation lag in der Fürsorge für die Arbeiter seines Betriebs und deren Familien. Das pädagogische Konzept ging bis in das Leben der Bewohner hinein; Folgeeinrichtungen wie Schulen, Theater und Kinderkrippen waren Teil des Programms.

Ende des 19. Jahrhunderts wurden abseits des Einflusses fürsorglicher Industrieller drei Komplexe mit zweihundert Arbeiterwohnungen im Auftrag des Berliner Spar- und Bauvereins errichtet. Der durch sein Kaufhaus Wertheim am Leipziger Platz berühmt gewordene Architekt Alfred Messel (1853–1909) wendet sich subversiv mit dem scheinbaren Gewimmel süddeutsch-lieblich anmutender Giebel und Balkone gegen das bürgerliche Wohnhaus mit seinen genauen Abstufungen von der Beletage bis zur Dachwohnung.

Als eine Weiterführung des Messel’schen Werks betrachtete Bruno Taut (1880–1938) seine Arbeit. Der Kunsthistoriker Tilmann Buddensieg schreibt: „Was sich bei Messel schon ankündigte, gelingt Taut: Vielleicht zum ersten Mail in der neueren Architekturgeschichte liefert ein bürgerlicher Intellektueller dem niedersten Stand der Gesellschaft den visuellen Ausdruck einer ästhetisch und sozial überlegenen Wohnform.“ Der den Namen gebende offene Hufeisengrundriss der berühmten Hufeisensiedlung in Berlin-Britz sollte die Solidarität der Siedler im Gegensatz zu den geschlossenen Wohnblockfassaden des Bürgertums darstellen.

Darüber hinaus sind die zeitgenössischen Siedlungen Onkel-Toms-Hütte, Siemensstadt sowie etliche kleinere Anlagen in Berlin bis heute in ihrer differenzierten Gestaltung Vorbild eines gemeinschaftlichen Wohnungsbaus. Ähnlich umfangreiche Projekte, die diesen Reformgedanken ebenfalls beinhalteten, entstanden in Frankfurt am Main unter der Leitung von Ernst May sowie in Hamburg unter Fritz Schumacher.

Die Siedlungen des Werkbunds hatten elitäreren Charakter. Die Einzelhäuser und Wohngruppen verfolgten experimentelle und exemplarische Ziele. Das Haus von Mies van der Rohe in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung etwa ist einer der ersten Wohnbauten mit einer Skelettstruktur, die Grundrisse sind also flexibel. Weitere Werkbundsiedlungen entstanden in Breslau und Wien.