: Beerdigung 2. Klasse
Bildungsbehörde hält Studie über die Integrierte Haupt- und Realschule zurück. Diese fördert schwache Schüler besser und bessere nicht schlechter
von KAIJA KUTTER
Seit zehn Jahren gibt es in Hamburg Integrierte Haupt- und Realschulen (IHR), die auf eine strikte Teilung ab Klasse 7 verzichten und den Bildungsabschluss bis zur 10. Klasse offen lassen. Eine Studie der Schulbehörde, so die GAL-Politikerin Christa Goetsch, liefere nun den eindeutigen Beleg für den Erfolg dieser Schulform. „Dort werden Hauptschüler signifikant besser gefördert“, sagt die Lehrerin, die selbst an einer der insgesamt 16 IHR-Schulen unterrichtet.
Den betroffenen Schulen wurde die Studie kurz vor den Herbstferien vorgelegt, der Öffentlichkeit, den Kammern und der Schuldeputation jedoch nicht. Für Goetsch ein „Skandal“. Denn gleichzeitig versäumt es Schulsenator Rudolf Lange (FDP) in seinem Schulgesetzentwurf, die IHR zur Regelschule zu erklären. Sie darf lediglich, so hieß es bei der Vorstellung des Gesetzes, als Schulversuch weiterexistieren – mit weniger Differenzierungsstunden als bisher. Dazu Goetsch: „Das ist eine Beerdigung zweiter Klasse.“ Der Senator begehe zudem „Wortbruch“, weil er auf einer Elternveranstaltung im Juli versprach, die IHR als Regelschule anzuerkennen.
Schulbehördensprecher Hendrik Lange bestreitet indes, dass es überhaupt eine Studie gibt. „Es handelt sich um ein internes Papier, in dem auf Arbeitsebene ein erstes Fazit gezogen wurde.“ Inhaltlich habe sich die Behörde dazu bereits Anfang Oktober in der Antwort auf eine SPD-Anfrage geäußert. Demnach ergebe die Evaluation ein „differenziertes Bild“, stünden den Lernfortschritten der schwachen IHR-Schüler jene Lernfortschritte gegenüber, die Leistungsstarke an reinen Realschulen erzielen. Zudem könne man beide Schulen erst richtig vergleichen, wenn sie, wie nun geplant, die gleiche Ausstattung hätten.
Christa Goetsch dagegen liest die Studie anders und sieht in Langes Sinneswandel, hinter dem sie Amtsleiterin Ingeborg Knipper vermutet, einen „Sieg der Ideologie über die Vernunft“. So haben in den Lernbereichen Lesen, Mathematik und Englisch auch die IHR-Realschüler bessere Lernfortschritte erzielt als die Schüler reiner Realschulklassen. Lediglich im Bereich „Sprache“ lägen diese vorn.
Goetsch führt aber auch pädagogische Vorzüge an, die sich aus der Studie ergeben. So haben IHR-Schulen mit 9,3 Prozent viel weniger Sitzenbleiber als Haupt- und Realschulen (15,1 und 21,7 Prozent), was auch Geld spart. Und schließlich ergab eine Lehrerbefragung, dass die große Mehrheit ihre Schüler dort besser gefördert sieht. Auch sagen 91 Prozent der IHR-Lehrer, dass das „Hauptschulsyndrom“, das Gefühl, Schlusslicht zu sein, keine Bedeutung mehr habe. Goetsch: „Disziplinprobleme spielen dort nicht mehr so eine Rolle wie an getrennten Schulen.“
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